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Raus aus dem Labyrinth

Wer seine grundlegenden Motive nicht tiefgehend genug versteht,
ist ein Sklave seiner Vergangenheit.

Dr. Robert Mestel

Frieden schaffen

Unter dem Punkt "Kontaktabbruch - Verlassene Eltern und Kinder" habe ich die Verwicklungen zwischen einem Teil meiner Generation und unseren Eltern beschrieben. Hier finden Sie Beiträge aus meinem Blog, die Auszüge meines Weges aus familiären und daraus folgenden persönlichen Verstrickungen zum Inhalt haben.
In einer Gesellschaft, in der Freude und Spaß im Vordergrund stehen, werde ich desöfteren gefragt, was mich antreibt so tief in meiner Psyche und unerfreulichen Familiengeschichten zu kramen. Es gab keinen Plan, es gab eine Notwendigkeit. Ich war bereit, mehr als bereit für tiefgreifende Veränderungen.

Ich würde mich heute nicht als vollständig geheilt bezeichnen. Zu tief ist die Wunde, die dazu führte, dass ich mich sehr jung vom Vertrauen in meine Eltern trennte. Kleine Kinder, die nicht ernährt werden können, verhungern. Kleine Kinder, die emotional nicht versorgt werden können, überleben. Ich bezeichne mich als Überlebende, die gelernt hat das Leben zu nehmen, wie es ist. Mir ist tiefe Traurigkeit und Verlustschmerz genau so wenig fremd wie tief empfundene Freude. Die Farben meines Lebens füllen eine große Palette. Dafür bin ich dankbar.

Wie im Innen so im Außen, wie im Großen so im Kleinen

DeMause hat vieles bei mir angestoßen. U.a. besonders wichtig finde ich seine Auffassung darüber, dass Kriege vor allem auch selbstmörderisch und selbstdestruktiv sind und sie unterbewusst der Reduzierung von Wohlstand und Wachstum dienen. Die komplexen (selbst-)destruktiven Folgen von Kriegen sind demnach das eigentliche Ziel. Mit dieser Sicht ergibt sich ein ganz anderes Bild und ein ganz anderer Zugang zu Krieg und Terror.

Auszug aus dem Blog von Sven Fuchs "Kriegsursachen, destruktive Politik und Kindheit" unter "Über mich und diesen Blog"

Dass unsere äußere Welt ein Spiegel unserer inneren ist und damit alles, was wir tun oder unterlassen, auch einen gesellschaftlichen, politischen und damit übergeordneten Aspekt aufweist, wurde mir selbst im Laufe der letzten Jahren, die ich mit Selbsterforschung und Ahnenforschung verbrachte, bewusst. So wie jede Handlung innerhalb unserer Familie weitgreifende Auswirkungen auf alle hat, die dem System angehören, so hat auch das Familiensystem als kleine Zelle eine Bedeutung für das größere Ganze. Wie ein Körper, der nur funktioniert, wenn alles reibungslos ineinander spielt, kann es auch nur dann eine gesunde Gesellschaft geben, wenn die kleinen Organismen harmonieren. Da alles auf Selbstheilung ausgerichtet ist, kann ein zum großen Teil gesunder Organismus kleine Ausfälle verschmerzen und gesunden lassen. 

Somit ist ein jeder von uns dazu aufgerufen sich selbst zu heilen. So lange wir Krieg in uns führen, reduzieren wir unseren inneren Wachstum und Wohlstand. Was wir nicht in uns schaffen, gelingt auch nicht wirklich in der äußeren Welt. Selbstheilung ist ein Dienst, den jeder sich und dem größeren Ganzen erweisen kann. Ohne Heilung und Befriedung unserer selbst, kann auch keine Heilung und kein Frieden im Außen entstehen. Unruhe, Gewalt und Krieg auf unserer Erde haben ihre Wurzeln im Chaos, Unfrieden und Selbstzerstörungsmechanismus in uns.
Unsere Welt kann nur dann ruhiger, friedlicher, sicherer werden, wenn wir genau das in unserem Inneren schaffen.
Das ist die Herausforderung.
Nicht über die anderen reden - es selber tun.

Hinweis

Für mehr Übersichtlichkeit habe ich auf dieser Seite weiterführende Links aus meinen ursprünglichen Beiträgen entfernt. Möchten Sie mehr erfahren, klicken Sie bitte auf die Blogbeiträge.

Sie finden auf dieser Seite folgende Beiträge:

Tipps und Anregungen

Verrat

Wut

Bist du richtig?

Traumaweitergabe

Und bitte schau freundlich ...

Du sollst dein Kind ehren

Die Summe unserer Anteile

Worte sind heute dicker als Blut

Zumutung

Deutsche Freiheit: SUV und Kreuzfahrt

Me too

Am Sterbebett meiner Mutter ...

Die Sache mit dem Vergeben

Das 4. Gebot

Wechsel

Dank

(Hinweis: Wenn Sie auf die Überschrift klicken, kommen Sie direkt auf den Beitrag. Zurück zur Inhaltsangabe einfach den Button "nach oben" drücken)

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Tipps und Anregungen

siehe hier auf der Seite "Traumatisierte Familien".

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Verrat

Blogbeitrag vom 01. November 2013 "Verraten"

Es gibt im Leben eine wichtige Weichenstellung.

Entweder du verrätst dich, täuscht und bleibst den anderen treu.
Oder du bleibst dir selbst treu, verrätst dich, indem du dich zeigst und enttäuscht.

Ent-Täuschung ist ein Geschenk, sie führt zur Wahrheit.

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Wut

Blogbeitrag vom 04.10.2013 "Wut"

Wut ist  das Gefühl, das mich begleitet, seitdem ich mich erinnern kann.
Lange Zeit hat sich die Wut nicht als Wut gezeigt, sondern als tiefe Traurigkeit. Die Traurigkeit hat mich gelähmt.

Es hat ein starkes Erlebnis gebraucht, welches meine ursprünglichen Gefühle wieder zum Fließen brachte. Es war, als ob ein Damm bricht, hinter dem sich so viele Jahre alles angestaut hatte, was für ein Mädchen unschicklich, unpassend, unerwünscht war. Alles floss ungehindert durch mich hindurch, nahm mir den Atem, schwemmte mich weg. Ich konnte diese starken Gefühle nur (aus)halten. Als ich wieder denken konnte, war ich meilenweit entfernt von dem Ort, an dem ich vorher stand. Und desorientiert.
Traurigkeit und Wut begannen sich zu mischen, manchmal wechselten sie sich so intensiv ab, dass ich Achterbahn fuhr zwischen heißem Feuer und tiefer Verzweiflung. An die Traurigkeit hatte ich mich gewöhnt, mit der Wut wusste ich nicht umzugehen. So schrecklich sich dieser Zustand für mich anfühlte - ich war lebendig und hellwach. Die Lähmung löste sich auf und ich fühlte mich voller Energie. Diese Energie brauchte ich für das, was vor mir lag. Für den Weg, der mich zurückführte zu den Ursprüngen meiner Wut und deren Umwandlung in Traurigkeit.

Die Wurzel für das Gefühlschaos in mir lag in einem Kindheitserlebnis. Ich fühlte mich von einer geliebten Person verraten, geriet in eine zerstörerische Wut, wurde von meiner Zerstörung abgehalten und zur Mäßigung in Isolationshaft gesteckt, bis ich wieder runtergekühlt hatte. Dieses Erlebnis hatte weitreichende Folgen für mich. Ich machte das, was ich von den Erwachsenen gelernt hatte und maßregelte mich selbst, indem ich meine Wut in die hinterste Kammer wegschloss und davor als Bewacher die Traurigkeit setzte. Da ich als Kind weder wütend noch traurig sein durfte, schob ich vor das Ganze die Fröhlichkeit. Meine Umgebung war zufrieden, ich unterlag meinem eigenen Täuschungsmanöver und entfernte mich mehr und mehr von mir selbst. Manchmal schlug die Wut heftig gegen die Tür. Da ich sie nicht mehr als mir zugehörig betrachtete, bekam auch ich Angst vor ihr und begann mich zu beobachten. Ständig lag ich auf der Lauer um mich selbst zu kritisieren, zu beurteilen und niederzumachen, wenn ich etwas nicht so hinbekam, wie es dem entsprach, was mich nach Außen gefällig, gewollt, genügend machte. Hass kam auf für all das, was sich in mir zeigte und so gar nicht dem Bild entsprach, das ich mir nach der Vorstellung der anderen von mir selbst gemacht hatte. Nichts passte. Die Wut entfaltete ihre Kraft nach innen und zerstörte, was zu zerstören war. Die Spannung, die sich auftat zwischen der fröhlichen Fassade nach außen und der Zerstörungswut nach innen, war schwer auszuhalten. Es machte mich traurig. Mein Weinen nach innen erlaubte ich mir. Es war das Gefühl, das sich am ehesten nach mir anfühlte. Es gab mir die Möglichkeit mich von den anderen zu entfernen und alleine zu sein. Im Alleinesein fiel die Spannung ab. Die Traurigkeit stellte keine Ansprüche an mich außer traurig zu sein. Das konnte ich, dem genügte ich, darin konnte ich gut sein. Das machte mich ruhig.

Dieser Weg zurück zu den Wurzeln meiner Gefühle, ließ mich erkennen, dass die Wut dann aufflammt, wenn meine Grenzen überschritten werden. Da diese Grenzen in meiner Kindheit sukzessive abgebaut wurden, indem sie nicht respektiert wurden und mich so formbar machten, erkenne ich sie heute als etwas Gutes, etwas, das mich beschützen will. Wut lässt mich oft in einer Weise reagieren, die für andere völlig unverständlich ist, aber ich weiß  heute, dass sie das Signal ist, dass etwas passiert, was ich hinterfragen sollte. Wut ist der Ersatz für meine Grenze, deren Wahrnehmung mir aberzogen wurde. Ich akzeptiere sie. Sie muss ihr Dasein nicht mehr in der hintersten Kammer fristen und mich zerstören. Sie darf nun frei sein, sie darf gefühlt werden. Ich habe aufgehört mich zu beobachten bei dem, was ich falsch mache und habe angefangen meine Gefühle, die sich zeigen, zu beobachten. Sie dürfen sein, denn sie sind da und ich lasse sie frei. Was zu hinterfragen ist, ist der Auslöser für meine Wut, denn fast immer ist es das alte Gefühl eines empfundenen Verrats. Gefühlt, aber nicht unbedingt wahr. Vielleicht habe ich all die Jahre der Unterdrückung gebraucht um in ein Alter zu kommen, wo ich sie nicht mehr in ihrer Stärke ausleben muss. Ich kann intensiv fühlen, ich kann intensiv erleben, ich kann, muss aber nicht mehr intensiv ausleben.

Und nun, wo ich mich selber besser verstehe und akzeptiere, was da ist, kann ich diesem Weg mehr und mehr folgen. Was ich mit diesem Beitrag sagen will? Hütet euch davor eure Gefühle wegzusperren. Oft denken wir, dass wir unsere Gefühle nicht fühlen dürfen oder sollten, aber eingesperrte Gefühle erzeugen Misstrauen. Misstrauen uns selbst gegenüber macht uns empfänglich für Manipulation, da wir eher den anderen und ihrer Meinung vertrauen als uns selbst. Viele Ratschläge schaffen wiederum nur ein Bild, dem wir versuchen zu entsprechen. Gefühle sind die Sprache der Seele, sie wollen uns etwas sagen. Hört ihnen zu. Oft sprechen sie von Grenzsetzung. Viele von uns wurden dazu erzogen "Ja" zu sagen und ein "Nein" ohne Schuldgefühl ist selten möglich. Die Fähigkeit die eigenen Grenzen wahrzunehmen ist nötig, um den Weg zu finden, der für einen jeden der richtige ist. Kein Weg ist gleich. Es ist gut sich selbst kennenzulernen. Danach ist noch immer Zeit ein besserer Mensch zu werden. Um Ratschläge oder Anweisungen für ein besseres oder freieres Leben befolgen zu können, wie sie Zenmeister Thich Nhat Hanh gibt, ist es gut sich selbst zu kennen, sonst können diese Wege erneut in die Irre führen.

Den kleinen Bruder an die Hand nehmen

Whenever the energy of anger comes up, we often want to express it to punish the person whom we believe to be the source of our suffering. This is the habit energy in us. When we suffer, we always blame the other person for having made us suffer. We do not realize that anger is, first of all, our business. We are primarily responsible for our anger, but we believe very naively that if we can say something or do something to punish the other person, we will suffer less. This kind of belief should be uprooted. Because whatever you do or say in a state of anger will only cause more damage in the relationship. Instead, we should try not to do anything or say anything when we are angry.

     Thích Nhất Hạnh


Es ist bereits eine große Leistung sich selbst zu stoppen und zu beherrschen, wenn uns heftige Emotionen überkommen, und das braucht viel Übung. Deswegen sind sie aber nicht weg oder lösen sich in Luft auf. Möglicherweise verschonen wir den anderen, verletzen uns aber selbst durch Verurteilung. Wenn wir uns kennen und verstehen, was der Auslöser ist für so starke Emotionen und warum sie uns manchmal so reiten, können wir die Situation auch für uns friedlich lösen. Verständnis für uns selbst und unsere Verhaltensweisen sind der erste Schritt in ein friedlicheres Leben.

Treat your anger with the utmost respect and tenderness, for it is no other than yourself. Do not suppress it — simply be aware of it.

Awareness is like the sun. When it shines on things, they are transformed. When you are aware that you are angry, your anger is transformed. If you destroy anger, you destroy the Buddha, for Buddha and Mara are of the same essence.

Mindfully dealing with anger is like taking the hand of a little brother.

    Thích Nhất Hạnh

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Bist du richtig?

Blogbeitrag vom 02. Juli 2014 "Bist du richtig?"

Kinder, denen das Gefühl vermittelt wird/wurde, dass sie nicht richtig sind, stammen nicht selten aus Familien, in denen die Dinge der Erwachsenen schief liefen/laufen. Sind die Älteren nicht in der Lage ihre Dinge selbst zu richten, wird die Erwartung dies zu tun nicht selten auf den Nachwuchs übertragen. Sind die Kinder dem nicht gewachsen (wann könnten Kinder das jemals sein?), wird ihnen vermittelt, das sie nicht richtig sind, weil sie die Erwachsenenangelegenheiten nicht richten können. Das Unvermögen der Eltern wird auf die Kinder übertragen, bis sie sich selbst für unvermögend halten. Die Vorwürfe über das beiderseitige Unvermögen werden hin- und hergeschoben.
Solltest du zu einem dieser Kinder gehören, das nichts richtig machen kann/konnte und deswegen nicht richtig ist, dann schau doch mal in die Geschichte deiner Eltern und Vorfahren. Lief dort alles richtig? Und wer, wenn nicht du, hätte es richten können/sollen?
Das Maß an Überschätzung, das an Kinder und ihre Fähigkeit im Richten von Erwachsenenangelegenheiten angelegt wird,  wird nicht selten weitergegeben. Die Suche nach dem, der es für uns richtet, geht weiter. Das Unvermögen bleibt in der Familie. Und hier können wir nicht entscheiden, ob wir es annehmen oder nicht. Es wird uns übergeben ohne dass es unserer Einwilligung bedarf.

Wir können aber doch etwas tun.

Nämlich die Fähigkeit entwickeln unsere eigenen Angelegenheiten zu richten. Was auch immer passiert ist, welchen Murks auch immer wir selbst verzapft haben, wir können uns bemühen die Fähigkeit zu entwickeln unsere Dinge selbst zu ordnen. Das befreit uns und unsere Kinder.

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Traumaweitergabe

Blogbeitrag vom 09.09.2014 "Traumaweitergabe"

Mit 11 Jahren bekam ich privaten Gitarrenunterricht bei einem älteren Mann. Als ich mich meiner Mutter anvertraute und ihr sagte, dass mich dieser Mann bei der Begrüßung und beim Abschied immer ganz fest umarmt und komisch anfässt, bezichtigte sie mich der Lüge.
Im Bekanntenkreis meiner Eltern gab es ein kinderloses Ehepaar. Der Mann rühmte sich dafür, dass er sich prächtig mit der Jugend verstehen würde. Immer wenn sie zu Besuch waren, kam er irgendwann auf mein Zimmer, wo er mir seine Weltanschauung präsentierte, während er ununterbrochen auf meine Brüste starrte. Ich war damals 14 und als ich meine Eltern darum bat, dass sie ihn von seinen Besuchen auf meinem Zimmer abhalten sollten, meinte meine Mutter, dass ich mir das alles nur einbilde.
Der Vater meiner damaligen besten Freundin startete einen sexuellen Übergriff auf mich, als ich 15 war. Ich hatte Angst vor einer Vergewaltigung. Diesmal behielt ich den Vorfall für mich und brach schweigend den Kontakt zur Freundin ab.
Als mich Jahre später meine Mutter fragte, warum die Freundschaft damals so abrupt endete, erzählte ich ihr den Vorfall. Ihre Reaktion darauf war "Was meinst du, was mir alles widerfahren ist? Ich war Freiwild!"

Schulbusfahrer wegen Missbrauch verurteilt
Ein Busfahrer hat seine Stellung ausgenutzt und Schülerinnen sexuell missbraucht. Erst nach einem Jahr wurde er angezeigt. Jetzt folgt das Urteil.

Passau. Das Landgericht Passau hat einen Schulbusfahrer wegen sexueller Übergriffe auf Mädchen zu drei Jahren Haft verurteilt. „In diesem Bus waren die Mädchen für den Angeklagten Freiwild“, sagte der Richter Wolfgang Hainzlmayr am Freitag. Die Aussagen der minderjährigen Opfer seien glaubhaft. Verurteilt wurde der 36-jährige Angeklagte wegen Vergewaltigung und schweren sexuellen Missbrauchs von zwei Mädchen im Alter von 13 Jahren. Allerdings hatten auch mehrere andere Mädchen von Übergriffen des Mannes in dem Schulbus im Raum Grafenau (Kreis Freyung-Grafenau) zwischen Mai 2012 und Frühjahr 2013 berichtet.

Drei Mädchen hatten am letzten Schultag vor den Sommerferien 2013 der Vertrauenslehrerin von den Grenzüberschreitungen des Fahrers erzählt. Sie machten sich Sorge um jüngere Schwestern, die ab dem neuen Schuljahr mit dem Schulbus fahren mussten. „Sie wollten nur, dass das aufhört“, sagte Hainzlmayr. Den Opfern stehe Schmerzensgeld zu.

Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Die Staatsanwaltschaft hatte drei Jahre und neun Monate Freiheitsstrafe gefordert. Die Frau des Angeklagten brach bei der Urteilsverkündung in Tränen aus. Der Mann selbst zeigte keine Reaktion.

Das Gericht blieb unter der Strafforderung der Staatsanwaltschaft. Der Richter begründete dies damit, dass der Angeklagte als Familienvater „besonders strafempfindlich ist. Er muss seine Frau und zwei Töchter im Stich lassen.“ Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Zeitungsnotiz vom 5. September 2014


Wo in dieser Geschichte tauchen die Mütter oder die Väter der missbrauchten Mädchen auf?

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Und bitte schau freundlich ...

Blogbeitrag vom 10.09.2014 "Und bitte schau freundlich ..."  

Gestern schrieb ich über eine Form der Traumaweitergabe.

Ich selbst weiß, welche Auswirkungen Übergriffe solcher Art auf die Entwicklung der Sexualität und damit der allgemeinen Entwicklung von Mädchen haben. Die gesunde Entwicklung wird empfindlich gestört. Wer nicht darüber reden darf oder kann, hat auch nicht die Möglichkeit zur Verarbeitung. Um mit den Dingen fertig zu werden, erfolgen häufig Reinszenierungen des Leids. Unterbewusst möchte man mit der Inszenierung von Leid auf das eigene empfundene Leid aufmerksam machen und tut sich nur selbst weh. Die Reinszenierungen haben vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten. Sie können in der Fantasie stattfinden (auch Selbsttötung) oder in selbstverletzendes Verhalten jeglicher Art, von Essstörungen, Alkoholismus bis zum Ritzen, übergehen. Das Eingehen von missbräuchlichen Beziehungen und daran Festhalten bis hin zur Depression kann darunter fallen.

Lange Zeit fragte ich mich, warum mich meine Mutter nicht aus missbräuchlichen Verhältnissen und Umständen befreite, obwohl ich sie darum bat. Sehr spät wurde mir klar, dass sie eine Leidensgenossin aus mir machen wollte. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Dabei war es aber so, dass mein Leid nie an das ihre herankam. Egal, was mir passierte oder welchen Umständen ich mich dann später aussetzte, meine Mutter hatte immer eine Trumpfkarte in der Hand. Ich hätte also leiden können bis zur Selbstaufgabe und wäre im Leidenskonkurrenzkampf doch immer die Verliererin gewesen.

In einem der Seminare, die ich besuchte, fielen dann die magischen Worte, die mir halfen die Dinge zu durchschauen und mich daraus zu befreien. Nicht selten ist es so, dass Kinder aus gestörten Familien in ihrer Entwicklung sabotiert werden und sich später selbst sabotieren. Der Grund dafür ist Solidarität. Wir dürfen nicht größer werden als unsere Eltern, nicht stärker, nicht freier, nicht autonomer, nicht erfolgreicher. Der Satz "Meinen Kindern soll es mal besser gehen als mir" ist nicht selten eine leere Phrase. Mir ging es immer besser als meiner Mutter, da mein Leid einfach nie an ihres heranreichte. Was in einer gesunden Familie erfreut, kann in einer gestörten Familie nicht selten zu Neid oder Hass führen. Damit ist schwer umzugehen. Um ein akzeptiertes Glied im System zu bleiben, machen wir uns selbst kleiner und lassen das Versagen unserer Eltern dadurch noch als kleinen Erfolg erscheinen.

"Und bitte schau freundlich, wenn es mir besser geht als dir"

Diese Worte wird keiner verstehen, der aus einer gesunden Familie kommt, die seine Entwicklung wohlwollend unterstützt hat.
Diese Worte sind gedacht für diejenigen, die sich für ihre Eltern demütigen. Denen vermittelt wurde, dass sie nicht genug sind, aber auch ja nicht zu viel werden dürfen.

Probiert es aus.
Stellt euch dem Elternteil gegenüber (das muss nicht real sein, klappt genauso in der Vorstellung), das von euch fordert, dass auch eure Schulkarriere schnell beendet ist (du bist zu dumm), dass auch eure Beziehung den Bach runtergeht (du bist nicht liebenswert), dass auch ihr für einen Hungerlohn arbeitet (du hast nicht mehr verdient), dass auch ihr gemobbt werdet (wer will dich schon als Freund). Dass ihr an der Welt leidet (du bist einfach unfähig).
Es funktioniert.
Schaut euch selbst freundlich an, wenn es euch besser geht als euren Eltern.
Weil ihr klug, liebenswert, wertvoll, freundlich, fähig seid.
Es ist eine Aufgabe, die es gilt zu erfüllen.
Für euren Wachstum und den eurer Nachkommen.
Letztendlich wachsen auch die Eltern daran.

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Du sollst dein Kind ehren

Blogbeitrag vom 11.01.2013 "Du sollst dein Kind ehren"

Der Beitrag, der in meinem Blog am häufigsten aufgerufen wird, ist der über "Verlassene Eltern".

Vor einigen Wochen war ich in einem Forum, in dem eine Teilnehmerin einen Thread mit der Überschrift "Ich wünschte ich hätte andere Eltern gehabt" eröffnete. Ein anderer Teilnehmer reagierte mit einem Schrei der Entrüstung. Was auch immer man an Problemen mit den Eltern hat, so etwas dürfe man auf gar keinen Fall äußern. Warum aber nicht äußern, wenn dieser Wunsch da ist? Meine Erfahrung ist die, dass viele meiner Generation mit den eigenen Eltern hadern und das Eingeständnis eines solchen Wunsches bietet die Möglichkeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Warum wünsche oder wünschte ich mir andere Eltern? An was hat es gefehlt und wo war es vielleicht zu viel? Diese Fragen führen oft zu den noch immer aktiven Sehnsüchten in uns, die nicht erfüllt wurden. Wir alle möchten geliebt und akzeptiert werden. In einer Leistungsgesellschaft wird das oft durch das Erbringen einer Leistung erreicht, die in der Gesellschaft gerade hoch im Kurs steht. Da wir keiner Gesellschaft angehören, die spirituellen Wachstum honoriert, ist es der Abschluss eines BWL- oder Jurastudiums, da dieser Aussicht auf Karriere und Geld verspricht und ein hohes Einkommen bringt Ansehen. Dem Kind und den Eltern. Was aber, wenn ich nun einen der heißbegehrten Plätze für ein duales Studium einer großen Firma ergattert habe, meine Eltern damit sehr stolz mache, mich selber aber tief unglücklich? Weil ich lieber Hebamme geworden wäre? Oder Mönch?

Was wir uns wirklich wünschen ist, dass wir nicht geliebt werden für das, was wir tun, sondern für das, was wir sind. Wir möchten geliebt werden ohne verglichen zu werden, ohne dass ein Maßstab an uns angelegt wird, den wir erreichen sollen, ohne den Rahmen ausfüllen zu müssen, der uns angelegt wurde.

Und wer anderes kann das tun als die eigenen Eltern?

Kein Erzieher, kein Lehrer, kein Chef liebt uns für das, was wir sind, sondern für das, was wir tun. Sind wir engagiert und doch zurückhaltend, leistungsbereit und beherrscht, gepflegt, aufmerksam und respektvoll, erbringen wir gute Noten und erzielen wir materielle Gewinne, dann passt das.

Eltern aber, wenigstens die, sollten uns dafür lieben, wer wir sind. Wenigsten sie sollten uns lieben ohne Bedingungen zu stellen. Wenigstens sie sollten uns nicht über unsere Leistungen definieren, sondern über das, was wir in unserem tiefsten Inneren sind. Auch wenn wir das selbst nicht so genau wissen. Sie könnten es wissen und spüren. Schließlich sind sie unsere Eltern.

Hinter diesem Wunsch liegt ein tiefes, ungestilltes, kindliches Bedürfnis "Sieh mich, liebe mich, nimm mich wie ich bin".

In meinem Beitrag über die Schwierigkeiten meiner Generation mit den eigenen Eltern schrieb ich bereits über die tiefe Loyalität, die uns förmlich zerreißt, wenn wir unsere Elternprobleme angehen. Schauen wir genau hin, sind wir voller Vorwurf, voller Enttäuschung und doch immer voller Sehnsucht nach dieser bedingungslosen Liebe. Ich las einmal, dass Vorwürfe verdorbene Wünsche sind. Verdorbenes stinkt und es vergiftet, wenn wir es in uns lassen. Unerfüllte Wünsche können uns ein Leben lang begleiten und aktivieren immer wieder das enttäuschte Kind in uns. Es gilt sich dieses Kindes anzunehmen in der Form, wie wir es uns immer von unseren Eltern wünschten. Diesem Kind in uns den Raum für seine Wut zu geben, wo es einmal herausschreien kann, dass es sich andere Eltern wünscht. Das Gift herausfließen lassen. Es gilt sich selbst gegenüber loyal zu sein. Wir wurden mit der Regel erzogen "Du sollst Vater und Mutter ehren", für mich fehlt die Regel "Du sollst dein Kind ehren", denn Kinder, die die Erfahrung gemacht haben, was es heißt einem anderen seine Würde zu lassen, die aufmerksam und respektvoll behandelt wurden, die geachtet und geehrt wurden, haben gelernt das auch zu tun. Kinder hören nicht auf das, was man ihnen sagt, sie machen nach, was ihnen vorgemacht wird. Sie sind keine Theoretiker, sie sind Praktiker. Nicht das Wort, sondern die Tat zählt. Erziehung aus Worten ist reine Konditionierung, die anerlernt wurde, aber nicht erfahren. Sie ist reines Befolgen, oft aus Androhung vor Strafe. Dazu gehört auch Liebesentzug in Form von Schweigen, wenn das Kind nicht tut, was es tun soll. Misshandlung in Form von Strafe muss nicht immer körperlich sein, auch emotionaler Missbrauch hinterlässt Verletzungen. Körperlicher Strafvollzug ist direkt, emotionaler Strafvollzug subtil. Beides hinterlässt Wunden.

Um diese fehlende Erfahrung nachzuholen, müssen wir unserem inneren Kind genau das geben, was es vermisste. Nicht unsere Eltern sind dafür zuständig, sondern wir selbst. Und das heißt uns zu lieben ohne Bedingung. Wenn dieses Kind in seiner Enttäuschung toben will, lass es toben. Beschränke es nicht wieder in Art deiner Eltern, mit erhobenem Zeigefinger und den Worten "Das darfst du nicht, das schickt sich nicht, das ist sehr böse und es macht mich traurig", denn damit schickst du es wieder in die Einsamkeit. Sag ihm "Du darfst und du darfst alles und ich bin da und pass auf dich auf". Lass es toben, danach kehrt Ruhe ein. Der entladenen Wut folgen oft Tränen. Das ist ein gutes Zeichen.

Wer solch eine Bemerkung "Ich wünschte ich hätte andere Eltern gehabt" als Blasphemie an den Eltern hält, der übt Blasphemie an sich selbst aus. Der hat sich selbst noch nicht herausgeholt aus seiner Sehnsucht und seinen Wünschen und wird eine Beziehung eingehen, in der er vom Partner das erwartet, was die Eltern nicht geben konnten. In einer Weiterentwicklung vom frustrierten Kind zum frustrierten Erwachsenen soll der Partner dann den Revoluzzer lieben, der sich gegen alles stellt, den Frustrierten, der sich am Wochenende volllaufen lässt und frühmorgens betrunken nach Hause kommt, den einsamen Wolf, der seiner Sexsucht nachgehen muss, den Minderwertigen, der innerhalb kürzester Zeit aus jedem Job aussteigt, weil alle anderen böse sind, die Unausgeglichene, die alles persönlich nimmt und rumzickt, die Gelangweilte, die stundenlang rumzappt und sich jede noch so miese Soap und gefakte Talkshow ansieht um ihren Selbstwert zu heben, den ewig Sehnsüchtigen, der keine Beziehung halten kann, weil er dem Verliebheitskick hinterherrennt, die Verantwortungslose, die gewissenlos abtreibt, damit nichts ihrem Fun im Weg steht, den Bestätigungssüchtigen, der am härtesten von allen arbeitet und in jedem Büro das Licht ausmacht.

Diese Anteile sind in vielen von uns, egal ob Mann oder Frau und so lange sie in dieser Form in uns sind, sind wir nicht raus aus unserer Pubertät. Wer erwachsen werden will, muss das Kind in sich ehren. Ohne Bedingungen. Es gilt uns selbst zu überzeugen mit dem, was wir tun. Und das erreichen wir nicht, indem wir in Selbstmitleid und Vorwürfen verharren, sondern indem wir Verantwortung für unser eigenes Leben übernehmen. Indem wir uns Selbstbefriedigung angedeihen lassen, was nichts anderes heißt, als uns selbst zu befrieden. Kein anderer kann das tun außer jeder von uns für sich selbst. Denn wir sind die Gesellschaft, jeder einzelne von uns. Ich und auch du. Jetzt.

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Die Summe unserer Anteile

Blogebitrag vom 12. November 2014 "Die Summe unserer Anteile"

Wir leben in einer Zeit der Trennungen.
Wenn ich Paare erlebe, die sich trennen, gibt es Vorfälle, die mich traurig stimmen. Was Partner sich untereinander antun, wenn aus Liebe Hass wird, ist schwer genug. Fatal wird es, wenn sie ihre Kinder als Instrument nutzen um sich gegenseitig noch tiefer zu verletzen. Am Ende sind es die Kinder, die beschädigt werden.
Kinder sind (meistens) eine Mischform aus mütterlichen wie väterlichen Anteilen und einem weiteren, der sie oft wie ein Alien in der Familie aussehen lässt. Lieben sich die Eltern, fühlen sich auch die elterlichen Anteile im Kind angenommen und geliebt. Fangen Eltern an sich zu hassen und beschimpfen den anderen, fühlt sich der jeweilige Anteil im Kind abgelehnt. Das, was aus einer Vereinigung entstanden ist, wird auseinandergerissen. Die Summe aller Teile beginnt im Inneren einen Kampf, adäquat zur Disharmonie im Außen. Kinder können keinen Frieden leben, wenn im Außen Krieg herrscht. In dem Moment, in dem ein Elternteil versucht, das Kind auf seine Seite zu ziehen, indem es den anderen Elternteil schlecht macht, zerreißt es das Kind innerlich, denn Kinder verstehen sich als Einheit von beiden. Sie fühlen sich verantwortlich für die Harmonie beider Anteile. Funktioniert die Harmonie im Außen, können auch die Kinder in Harmonie schwingen. Schwierige Kinder zeigen häufig die Schwierigkeiten der Eltern. Für die ist es einfacher am Kind rumdoktorn zu lassen, als sich den eigenen Schwierigkeiten zu stellen.

Wenn sich Eltern trennen und den Kontakt zueinander abbrechen, brechen sie nicht selten den Kontakt zu dem Teil des Kindes ab, das es vom anderen Elternteil in sich trägt. Wird das Kind auf eine Seite gezogen, wird es oft genötigt den Kontakt zu diesem Elternteil und damit zum eigenen Anteil abzubrechen. Alleinerziehende Elternteile, die sich den Anspruch erworben haben, allein erziehend zu sein, brauchen sich nicht zu wundern, wenn Kinder später auch den Kontakt zu ihnen abbrechen. Die Disharmonie wird weitergelebt.

Um die Summe der Anteile in Aufruhr zu bringen, genügt der strafende Blick eines Elternteils, das zu einer Aktion des Kindes sagt "Du bist wie dein Vater/deine Mutter". Der Elternteil distanziert sich von diesem Anteil, mit dem er sich nicht identifiziert. Kinder spüren, ob in solchen Worten Liebe oder Ablehnung mitschwingt. Der Elternteil versucht durch solche Worte das Kind emotional zu manipulieren und es zu einem anderen Verhalten zu bewegen. Statt die Person von der Aktion zu trennen und die Aktion an sich zu bewerten und zu sagen "Was du da gemacht hast, finde ich nicht gut, das kann man bestimmt auch anders lösen", wird ein ganzer Anteil abgelehnt. Heute würde man sagen - da wird ein Anteil gemobbt.

Oft ist es gar nicht nötig eine tatsächliche Trennung durch Scheidung zu vollziehen. Sprachlosigkeit zwischen zwei Partnern, die nebeneinander herleben, führt zu Sprachlosigkeit bei den Kindern. Dann wird sich gewundert, warum sich Kinder im Erwachsenenalter nicht mehr melden. Da will der Schein gewahrt oder eine gewohnte Zweckgemeinschaft aufrecht erhalten werden. Da das Verständnis zwischen den Partnern fehlt, fehlt auch das Verständnis dafür, dass Kinder, sobald sie die Möglichkeit dazu haben, diesen Zombiegemeinschaften lieber fernbleiben. Eltern, die zu leb- und lieblosen Partnerschafts-Zombies geworden sind, saugen die Lebendigkeit aus ihren Kindern und lähmen sie.

Diese Woche las ich in einem Blog. Dort wurde die Frage gestellt "Müssen wir uns mit unseren Eltern versöhnen?". Für mich geht es in der Auseinandersetzung mit unseren Eltern weniger um Versöhnung als um Aussöhnung. So lange wir nicht das Verhalten unserer Eltern verstehen können, so lange wir sie ablehnen, vielleicht sogar hassen, so lange können wir uns selbst nicht verstehen, so lange werden wir uns ablehnen und vielleicht sogar hassen. Wenn wir Frieden in unserem Inneren finden wollen, gilt es Frieden mit den Ereignissen im Außen zu schließen. Wenn wir mit unseren Eltern keinen Frieden schließen können, werden wir auch nicht im Frieden mit dem Anteil, der sie in uns repräsentiert, leben können. Es geht hier für mich um Aussöhnung mit den Anteilen in uns.

In einem der Seminare, die ich besuchte, stellte mich eine "Trainerin" vor den Spiegel und forderte mich auf zu meinem Spiegelbild "Ich liebe dich" zu sagen. Ich brachte die Worte heraus, aber sie fühlten sich unwahr an. Ich liebte mich nicht. Nicht so, wie ich war. Es gab so viel an mir auszusetzen und rumzumäkeln. Schon immer. Seit ich mich erinnern kann. Im Teenageralter waren es Äußerlichkeiten, im Erwachsenenalter Charakterschwächen. Ich kämpfte gegen mich selbst, weil ich nicht akzeptieren konnte, was sich zeigte. Ich wollte meinen Eltern weder äußerlich noch innerlich ähneln. Aber das Leben meint es gut mit uns. Irgendwann weisen uns unsere Konditionierungen als Kinder unserer Eltern aus und wir können nicht mehr wegschauen. Das passiert meistens zu einer Zeit, wo wir die Reife haben (könnten) zu sehen und zu verstehen, warum unsere Eltern so sind wie sie sind, warum ihre Liebe zueinander gescheitert ist, warum wir so sind wie wir sind, warum unsere Liebe zu uns selbst gescheitert ist und was wir tun können um die ungeliebten, abgelehnten Anteile in uns wieder zu einer Summe zusammenzuführen.

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Worte sind heute dicker als Blut

Blogbeitrag vom 21. Juli 2014 "Worte sind heute dicker als Blut"

In einer der letzten ZEIT-Magazin Ausgaben gibt die 30-jährige Teresa Bücker 30 Antworten auf die Frage, wie es ist, heute 30 zu sein. Unter den 30 Antworten auf verschiedene Stichworte sind mir diese besonders aufgefallen:

2 - Großeltern
Opa erzählt nicht vom Krieg. In Sekundenschnelle kann ich heute im Netz so gut wie alles recherchieren: bereits verstorbene Zeitzeugen berichten in Videos vom Holocaust. Doch die Quellen, die mir am nächsten stehen, sind ein verschlossenes Buch. Opa sagte, ich solle etwas Anständiges lernen, als ich nach dem Abitur Kunst studieren wollte. Was ich immer noch lernen möchte, ist, mit meinen Großeltern echte Gespräche zu führen, denn meine Kinder werden keine Menschen mehr kennenlernen, die vom Zweiten Weltkrieg erzählen können. Worte sind heute dicker als Blut.

4 - Perspektiven
Vielleicht will ich ein Kind, um wieder Fragen und Gedanken zu hören, die mich überraschen. Zynismus ist die Überlebensstrategie meiner Generation, die Gespräche sind davon geprägt. Mit 30 verabschiede ich mein inneres Kind und will es gleichzeitig erhalten, um mit Liebe auf die Welt zu schauen. Jetzt, wo ich selbst noch keine kleinen Menschen um mich herum habe, wünsche ich mir oft, ihre Gedanken zu lesen und zu hören, anstatt dass Medien immer wieder hasserfüllten Leuten eine Bühne bieten, die nichts von der Welt von morgen wissen wollen.

7 - Eltern
Mit 30 muss man einsehen, keine Ahnung mehr davon zu haben, was es bedeutet, heute ein Jugendlicher zu sein. Ältere Menschen rücken emotional näher. Wenn die eigenen Eltern in den Ruhestand gehen, obwohl sie einem selbst noch so jung erscheinen, verändert sich das Zeitgefühl. Man beginnt darüber nachzudenken, wie es ist, ohne sie zu sein. Ich fand meine Eltern immer modern und merkte trotzdem, wie sehr sich mein Lebenslauf von ihrem unterscheidet. Jobwechsel, Kündigungen und befristete Stellen kennen sie aus eigener Erfahrung nicht. Je älter wir nun miteinander werden, desto weniger geht es um Erwartungshaltungen, sondern um gegenseitiges Verstehen.

11 - Religion
"You know how us Catholic girls can be, we make up for so much time a little too late", ist eine Songzeile von Alanis Morissette, die mir in Erinnerung geblieben ist. "So sind wir katholischen Mädchen, wir holen so vieles ein bisschen zu spät nach." Ich habe noch gebeichtet, konnte nicht Messdienerin werden, weil ich kein Junge war, und hatte dennoch katholische Religion als Abiturfach. Kritik am Papst war in Klausuren als Fehler rot angestrichen. Eine weltfremde katholische Erziehung machte mich schließlich zur Atheistin. Mein Hunger auf Spiritualität bleibt. Jeden Sonntagmorgen, wenn ich auf meiner Yogamatte liege, wünsche ich mir, da wäre ein wenig mehr als Schweiß und gelöste Muskeln. 

17 - Therapie
"Austherapiert bist du auch nicht, oder?", brüllt die weibliche Hauptfigur von Fack ju Göhte ihrem Kollegen entgegen. Diesen Satz habe ich mindestens schon einmal über eine andere Person gedacht. In meiner Altersgruppe gehört psychologische Beratung so selbstverständlich dazu wie die Kontrolluntersuchung beim Zahnarzt. Depressionen kommen nun einmal häufiger vor als Beinbrüche. Gespräche mit Psychologen sind Mainstream, und das ist gut. Sich selbst besser zu verstehen, Wut und Trauer Raum zu geben ist wertvoller als ein weiterer Studienabschluss.

30 - Risiko
40 ist nicht "das neue 30". Wir können nicht erwachsen werden, wenn wir zugleich alles dafür tun, jung zu bleiben. Erwachsen werden bedeutet, Dinge loszulassen, anstatt eine Lebensphase, die man schon sehr gut kennt, immer wieder zu verlängern. Es bedeutet, dass man aufhört, mit der Vergangenheit zu hadern, und sich damit anfreundet, dass wir nicht planen können, was passiert.

Die Essenzen dieser Antworten sind für mich folgende:

Worte sind heute dicker als Blut.
Mit 30 verabschiede ich mein inneres Kind und will es gleichzeitig erhalten, um mit Liebe auf die Welt zu schauen.
Je älter wir nun miteinander werden, desto weniger geht es um Erwartungshaltungen, sondern um gegenseitiges Verstehen.
Mein Hunger auf Spiritualität bleibt.
Sich selbst besser zu verstehen, Wut und Trauer Raum zu geben ist wertvoller als ein weiterer Studienabschluss.
Erwachsen werden bedeutet, Dinge loszulassen, anstatt eine Lebensphase, die man schon sehr gut kennt, immer wieder zu verlängern. Es bedeutet, dass man aufhört, mit der Vergangenheit zu hadern, und sich damit anfreundet, dass wir nicht planen können, was passiert.

Ich bin 51 und meine Antworten über das Leben mit 50 würden anders aussehen als die Antworten von Teresa Bücker. In ihrer Essenz wären sie sehr ähnlich.

Ich habe 50 Jahre gebraucht um zu erkennen, dass ich nicht planen kann, was passiert. Dass es gilt die Dinge zu nehmen wie sie kommen. Dass ich in Würde altern möchte und mich deswegen kein Tattoo verzieren muss. Dass es wichtig ist ehrliche Gespräche zu führen. Auch mit sich selbst. Sich die eigenen Gefühle anzuschauen und der Wut und dem Hass auf den Grund zu gehen anstatt sie in die Welt hinauszuschleudern. Dass es darum geht wirklich zuzuhören. Um zu verstehen und nicht um zu antworten oder gute Ratschläge zu geben. Weil unsere Erfahrungen unseren Kindern zum großen Teil nicht weiterhelfen. Weil sich die Welt so schnell dreht und sie andere Fähigkeiten benötigen wie wir, damit sie nicht hinauskatapultiert werden.

Eine religiöse, missionarische Nachbarin meinte einmal zu mir, dass Menschen nur noch der Zynismus bleibt, wenn sie vom Glauben abgefallen sind. Vor 4 Jahren habe ich meine Mitgliedschaft in der katholischen Glaubensgemeinschaft gekündigt. Letzte Woche erhielt ich einen Brief vom Pfarrer der katholischen Gemeinde, der ich zugeordnet wurde/werde. Ich habe ihn tatsächlich bis zu einem gewissen Punkt gelesen, da ich neugierig war, was er mir zu erzählen hat. Da stand, dass er jetzt erst schreibt, damit eine gewisse Zeit zwischen Austritt und Kontaktaufnahme liegt. Schließlich habe ich nicht das Gespräch gesucht. Der Brief flatterte in den Papiermüll, als die alten, wohlbekannten Geschütze der katholischen Kirche aufgefahren wurden, mit denen sie jahrhundertelang überleben konnte. Vorwürfe. Schlechtes Gewissen machen. Drohen.

Ich bin vom katholischen Glauben abgefallen. Aber ich glaube. Ich glaube an ehrliche Gespräche. Ich glaube an das Ende von Autorität und Dominanz. Ich glaube daran, dass es möglich ist auf Augenhöhe zu leben. Alte auf Augenhöhe mit Jungen, Männer auf Augenhöhe mit Frauen, Erwachsene auf Augenhöhe mit Kindern. Weil ich daran glaube, dass wir alle voneinander lernen können. Ich glaube an diese Strömung einer jungen Generation, die mit 30 bereits weiß, was ich mir bis 50 mühsam aneignete. Ich glaube daran, dass die Liebe größer ist als der Zynismus. Und ich glaube daran, dass dem Reden in Zukunft eine größere Bedeutung zugeordnet wird als Tradition, Religion und Blutsbande. Wir müssen reden.

Der Weg dorthin scheint weit, aber ich glaube fest daran, dass nachfolgende Generationen dieses Ziel erreichen. Ich selber kann einen Schritt in diese Richtung machen. Einen Anfang.

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Zumutung

Blogbeitrag vom 24. November 2014 "Zumutung"

In einem der letzten Zeit-Magazine (Nr. 47) stellt sich die Journalistin Nicole Zepter die Frage "Bin ich wie meine Mutter?". Der Artikel beginnt mit "Unsere Autorin fragt sich, warum sie wiederholt, was ihr zu Hause vorgelebt wurde. Die Geschichte einer schonungslosen Selbsterforschung".

Nicole Zepter erfährt am 18. Geburtstag von ihrer Mutter, dass der Mann, den sie bis dahin für ihren Vater gehalten hat, nicht ihr leiblicher Vater ist. Sie verlässt das Elternhaus und zieht zu ihrem Freund in die Stadt. 15 Jahre lang hat sie so gut wie keinen Kontakt zur Mutter. Sie studiert und wird erwachsen. Sie trifft die Liebe ihres Lebens und wird schnell schwanger.

Und dann, mit Mitte dreißig, war ich auf dem besten Weg, so zu werden wie meine Mutter, wie die Frau, die mich jahrelang belogen hatte, die mir so fremd geworden war. Ich hatte mich in einer Beziehung verfangen, die mich hinunterzog. Ich hatte geglaubt, dieser Mann sei die Liebe meines Lebens. Wie meine Mutter es von meinem Vater geglaubt  hatte, zu dem sie dann nach meiner Geburt jede Verbindung abgebrochen hat, den sie totgeschwiegen hat. Ich wurde, wie sie, nach nur wenigen Monaten schwanger: ein Wunschkind. So wie ich es auch gewesen war? Wie meine Mutter setzte ich alle Hoffnungen in diese Beziehung. Um mich dann doch nur in Streitereien zu verlieren, in Lügen und Verzweiflung. Wie meine Mutter machte ich mich klein. Innerhalb weniger Monate hatte ich mein Selbstbewusstsein verloren. Ich erkannte mich nicht wieder. Meine Beziehung zerbrach.
Als ich schließlich mein Baby in den Armen halte und daran denke, den Kontakt zum Kindsvater völlig einzustellen, wird mir all das erst richtig klar: Ich verhalte mich wie Mama. Ich bin wie sie. Ich habe ihre Rolle eingenommen. Und ich frage mich. Warum? Und: Wie komme ich da raus?
Heute glaubt man in der Regel nicht mehr an Schicksal. Das widerspräche der Vernunft, dem freien Willen des Menschen. Doch in diesem Moment fühlte sich mein Leben plötzlich an wie Schicksal. Natürlich wusste ich, dass es Muster gibt, in die wir verfallen und die automatisierte Reaktionen hervorrufen. Ich wusste, dass meine Eltern meinen Blick auf Männer und Frauen stark prägen. Aber ich wusste auch, dass ich ein selbstständig denkender und handelnder Mensch bin. Und ich dachte, ich hätte alles getan, um ein schönes Leben zu haben. Es klingt vermessen, das zu sagen, aber sogar: ein besseres Leben. Sagt man nicht, dass es die Kinder einmal besser haben sollen? Ich dachte ich mache es besser als meine Mutter. Und dann fand ich mich plötzlich in einer fast identischen Situation wieder. Ich fühlte mich wie die Marionette meiner Prägung.

Nicole Zepter beginnt eine systemische Therapie, die zwei Jahre dauern soll. Vor dem erstellten Familienbaum, der die väterliche sowie die mütterliche Linie aufzeigt, wird die Frage gestellt: Welche Themen tauchen immer wieder auf? Gab es Familiengeschichten, die immer wieder erzählt wurden? Der Kontakt zur Mutter wird enger, ihre Geschichte will erzählt und verstanden werden. Die Therapeutin fragt:

Wenn Sie jetzt sehen, dass Ihre Mutter damals ähnlich gehandelt hat und sich einen ähnlichen Mann gesucht hat, aus welchem eigenen Gewohnheitsverhalten ist dies entstanden?

Nicole Zepters Erkenntnis:

Was ich über Männer gelernt habe, habe ich von meinem Stiefvater gelernt. Dem Mann, mit dem ich aufgewachsen bin. Er war autoritär und unsicher. Er wusste, wie er mich vor meinen Freunden demütigen konnte. Meine Mutter hat sich Männer gesucht, die sie kleinmachten und dadurch selbst größer wurden.
Wenn meine Mutter von ihrem eigenen Vater erzählt, dann klingt es, als spräche sie von einem entfernten Verwandten. Ich kannte ihn als interessierten, wachen Opa. Doch sie sitzt vor mir und sagt nüchtern: "Opa war autoritär. Er schrie und schlug zu."

Die Mutter hatte einen Vater, der kleinmachte und suchte sich einen Mann, der kleinmachte, so wie die Tochter an einen Mann geriet, der es verstand sie klein zu machen. Die Männer versagten, wenn es um Nähe ging. Die Tochter wiederholt das Muster der Mutter.

In der Therapie sehe ich mich zum ersten Mal inmitten meiner Familie und denke: Obwohl ich mich so weit von meiner Mutter entfernt habe - ich habe studiert, bin in die Großstadt gezogen, gereist -, blieb ich doch in meinem Inneren, mit meinen Wünschen und Ängsten, die sich alle nun in dieser Wiederholung zeigen, ganz nah bei ihr. Auf der gesellschaftlichen Ebene sind Frauen scheinbar emanzipiert. Doch hier, im Individuellen, merke ich, die nach Außen hin immer selbstständig war: Der Weg ist weiter als ich dachte.

Der systemische Familientherapeut Helm Stierlin verwendet hierfür den Begriff "bezogene Individuation". Wer sich auf jemanden bezieht, obwohl er ihn ablehnt, ist immer noch abhängig von ihm.

Die Familie, das lerne ich in vielen Theapiesitzungen, hat eine sichtbare Macht über uns und eine unsichtbare. Sie ist das stärkste soziale Gefüge. Auch wenn wir sie ablehnen, richten wir uns nach ihr aus. Sie ist das Bezugssystem - auch wenn wir gegen sie opponieren.

Die Geschichte von Nicole Zepter nimmt einen guten Verlauf:

Zwei Jahre nachdem ich mit der Therapie begonnen habe, fahren meine Mutter, mein kleiner Sohn und ich zusammen in Urlaub. Es ist der Sommer 2013. Es geht mir viel besser. Ich fühle mich befreit von Bedürfnissen, die nicht meine waren. Ich habe das Gefühl, in wenigen Monaten um Jahre reifer geworden zu sein. Ich werde den Vater meines Kindes nicht verleugnen, die beiden sehen sich regelmäßig. Und ich genieße das Zusammensein mit meiner Mutter. Sie ist mir näher als jemals zuvor, vor allem auch deshalb, weil ich sie das erste Mal als Frau und nicht mehr nur als Mutter sehe.

Und doch lässt sie etwas nicht los:

Ich dachte immer, ich sei stärker als meine Mutter.

Auf die Antwort der Therapeutin:

Sie müssen ja nicht stärker sein.

erfolgt die befreiende Erkenntnis:

Das stimmt. Ich brauche es ja gar nicht zu sein. Ich bin gar nicht die, die ich zu sein dachte.

Die "bezogene Individuation" treffe ich zur Zeit gehäuft in meinem Freundes- und Bekanntenkreis. Da gibt es einen Mann, dessen Vater die Familie frühzeitig verlassen hat. Der Vorsatz "Ich mache es besser als mein Vater" hat ihn zu einem liebevollen Vater werden lassen, der dann in der Midlife-Crisis ein Verhältnis mit einer jüngeren Frau anfängt, dessen Fokus ausschließlich auf sich selbst und seinen Bedürfnissen ruht und der mit einem Schlag alles zunichte macht, was er sich aufgebaut hat. So wie er sich vom Vater distanziert hat, der die Mutter und ihn im Stich ließ, so distanzieren sich seine Kinder von ihm, die nicht verstehen können, wie ihr liebevoller Papa ihre Mutter so tief verletzen kann. Der Zeitpunkt des Verlassen werdens und des eigenen Verlassens ist unterschiedlich. Das Ergebnis identisch.
Da gibt es eine Frau, deren Mutter mit Heimarbeit den Ehemann bei der Abzahlung des Hauses unterstützte. Immer daheim, keine Reisen, keine schicke Kleidung, geschweige denn Schmuck, nur abzahlen und abwarten. Die Tochter will nicht nur träumen, sondern ihren Traum leben. Reisen, Schmuck, für jede Gelegenheit ein Fähnchen, Event auf Event - bezahlen tut der Mann, der zu Hause sitzt und wartet. Sie sitzt auf der anderen Seite wie ihre Mutter, aber ihre Überzeugung "Ich bin stärker als meine Mutter und mache es besser", schafft zwischen ihr und ihrem Ehemann die gleiche gähnende Leere, die sie in ihrem Elternhaus erfuhr.

So lange wir denken, dass wir stärker sein müssten als unsere Eltern oder unser Leben besser gestalten müssten, als sie es taten, nehmen wir in unserer Opposition Bezug auf sie, was uns unsere Entscheidungen nicht selbstständig oder unabhängig treffen lässt. Irgendwann erkennen wir, dass wir in denselben Mustern wie sie laufen, obwohl wir uns doch so stark abgegrenzt haben. Das ist frustrierend.

Auf einem systemischen Seminar erzählte uns die Seminarleiterin, dass sie trotz gehäufter systemischer Arbeit nicht wirklich weiterkam. Bis sie erkannte, dass es nicht darum geht besser oder stärker als unsere Eltern zu sein. Denn darin liegt ein Vergleich und im Vergleich liegt immer ein Bezug. Es geht darum, dass wir uns selbst die Erlaubnis geben es anders als unsere Eltern zu machen. Wer Eltern hat, der weiß, wie viele gutgemeinte Rat-Schläge ein Kind im Laufe seines Leben bekommt und dazu hingeführt wird es doch genau so wie seine Eltern oder es auf gar keinen Fall so wie seine Eltern zu machen. Ein Ausbruch, dem eine selbstständige, unabhängige Entscheidung vorausgeht, stellt immer eine Gefahr für den Familienverbund, fürs System dar. Es könnte auch anders gut laufen, vielleicht sogar weniger schmerzhaft oder weniger leidvoll und damit wird die Vorgehensweise und damit der Erhalt des Systems in Frage gestellt. Ausbrüche sind ein Risiko, das ungern befürwortet wird. Deswegen geht es nicht darum etwas besser zu machen, sondern dem System etwas zuzumuten. Mit einer Zumutung stellen wir keinen Vergleich und damit auch keinen Bezug her, sondern zeigen Vertrauen in die Stärke des anderen. Und so sollte es statt "Ich mache es besser als du" oder "Ich bin stärker als du" heißen:

Ich mute dir zu, dass ich es anders mache als du.

Dieser Vorsatz sollte nicht einhergehen mit "So mache ich das auf gar keinen Fall. So wie die/der will ich nie werden!", sondern mit der Frage:

Wer und wie will ich sein?

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Deutsche Freiheit: SUV und Kreuzfahrt

Blogbeitrag vom 28. November 2014 "Deutsche Freiheit: SUV und Kreuzfahrt"

In den Jahren, in denen ich Kampfkunst praktizierte, habe ich eine Sache erkannt: Freiheit hängt nicht von äußeren Dingen ab, sondern ist ein Zustand im Inneren. All das, was uns im Westen als Freiheit verkauft wird, sind lediglich Scheinfreiheiten.

Als ich jung war, bedeutete Freiheit ein eigenes Auto, in dem ich so laut Musik hören konnte wie ich wollte und mit heruntergekurbeltem Fenster den Sommer einsog oder die Autobahn entlangbretterte. Die Freiheit hörte in dem Moment auf, in dem mir ein anderer Autofahrer hinten auffuhr und meine Freiheitskiste in einen Totalschaden transformierte.
Später klapperte ich die Strände auf der Suche nach Freiheit ab. Im Herbst 1989 befand ich mich an einem Inselstrand, der in einem Hochglanzmagazin unter den Top Ten  der Strände mit den spektakulärsten Sonnenuntergängen an erster Stelle stand. Der Sonnenuntergang war tatsächlich eine Schau, der Strand ein Traum, die Menschen, die sich dort tummelten überwiegend gestrandet und ständig bekifft. Eines abends, nach einem wiederholt spektakulären Sonnenuntergang, schleppte ich Holz zum Strand und entzündete ein Feuer. All die Strandmenschen wurden angezogen und erzählten sich Geschichten von Freiheit und Abenteuer, während sie sich weiter zukifften. Bei mir wollte sich kein Gefühl von Freiheit einstellen. Im Gegenteil, die Situation bedrückte mich. Mir wurde klar, dass sich Freiheit nicht am Strand finden lässt.

Heute höre ich Geschichten von Menschen, die auf ein großes Schiff steigen, das einem Bienenstock ähnelt. Sie schlafen in einer der Waben und werden tagsüber zum Ausschwärmen an einen Inselstrand gekippt. Dort wälzen sie sich im warmen Gewässer, sammeln fleißig Souvenirs, die sie abends in ihre Waben tragen, begleitet von der "Großen Freiheit" des Grafen. An der Reling stehen, das Schiff legt ab, der Graf tönt aus den Lautsprechern, die Insel wird kleiner, das Meer scheint groß - Gänsehautfaktor. Ist das Freiheit?
Zu Hause angekommen, während sich noch der Schlüssel im Türschloss dreht, steigt ein Gefühl der Beklemmung auf. Ganz schnell, bereits beim Einatmen der seit Wochen angesammelten, abgestanden Luft und beim Anblick des Turms an Post und bedrucktem Papier, sind wir wieder angekommen im Mief des Alltags. Wieder gefangen in Sorgen und Problemen. Wir träumen uns weg zu Meeresrauschen und Salz auf unserer Haut. Das Gefühl von Freiheit macht süchtig. Wir huckeln uns durch den Alltag für den nächsten Fix. Je größer das Auto desto stärker das Freiheitsgefühl. Aus dem Käfer, der Ente oder dem Golf wird ein SUV (Sport Utility Vehicle oder auf deutsch Geländelimousine), aus dem griechischen Inselhüpfen ein Dschungelabenteuer in Südamerika, aus dem all-inklusive-Cluburlaub auf Malle ein all-inklusive-Kreuzfahrttrip durch die Karibik. Wem dient das?

Wahrhaftige Freiheit hat nichts zu tun mit Reisen oder der Größe eines Autos. Wahrhaftige Freiheit ist da, unabhängig von den Gegebenheiten. Freiheit hat etwas mit Frieden zu tun. Wer es geschafft hat Frieden in und mit sich selbst zu schließen, der ist wahrhaftig frei. Jemand kann eingesperrt sein in einem Gefängnis und sich frei fühlen, während sich jemand auf der anderen Seite der Mauer frei wähnt und doch gefangen ist. Wir arbeiten hart für Scheinfreiheiten, die uns zu süchtigen Abhängigen machen. Wir tun wenig für das, was uns wirklich befreien könnte - dem Loslassen von Vorwürfen, von Groll, von Hass, von Enttäuschung, Verzweiflung, Neid, Missachtung, Schuldzuweisung. Jeden Tag wird uns vorgeführt und gelehrt was Freiheit, Glück, Zufriedenheit bedeutet. Das richtige Deo, das uns anziehend macht, das wohlschmeckende Fertiggericht, das uns zugleich zu einer Traumfamilie im Traumhaus verhilft, die richtige Creme, mit der wir nicht altern, der richtige Turnschuh, der uns zu einem Sportass werden lässt. Wir brauchen all das um glücklich zu sein, um attraktiv zu sein, um anders zu sein, um besser zu sein, um zufrieden zu sein. Aber diese Art von Glück hat nichts mit Frieden zu tun und damit auch nichts mit Freiheit. Sie schürt Sucht und bedeutet das Gegenteil.
Wer wahrhaftig frei sein will, sollte nicht huckeln für Scheinfreiheiten, sondern an sich selbst arbeiten. An seiner eigenen Befreiung von allem, was ihn belastet. Am Abtragen der Mauer, die ihn umgibt und gefangen hält. Wir können uns nur selbst aus unseren Gefängnissen befreien. Wir können uns nur selbst in die Freiheit führen.

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Me too

Blogbeitrag vom 28. August 2018 "Me too"


Ein großes Thema in meinem Leben ist Vertrauen.

Das große Leid in meinem Leben ist gefühlter Verrat.

Die schlimmsten Ereignisse sind die mit Menschen aus meinem innersten Kreis, von denen ich mich verraten fühle - der damit einhergehende Vertrauensverlust und der damit verbundene innere und meistens auch äußere Rückzug.

Als Kind, das sehr früh von seiner Mutter verraten und Missbrauch ausgesetzt wurde, konnte ich keine Herzensbindung zu meiner Bezugsperson entwickeln.

Die größte Sehnsucht in meinem Leben war eine wahrhaftige Verbindung, ein wahrhaftiger Austausch mit einem anderen Menschen. Dafür war ich zu wirklich (fast) allem bereit.

Vor zwei Jahren habe ich mich in einem Moment der Schwäche und Verzweiflung von einem Menschen aus meinem innersten Kreis getäuscht und verraten gefühlt. Ich war in einem Ausnahmezustand, da ich einen Tag vorher beinahe eines meiner Kinder verloren hätte. Im Krankenhaus, in das ich mein Kind fuhr, erlitt ich einen Nervenzusammenbruch. Mein Zustand war desolat. Dieser Mensch bot mir Trost an und ich war bereit, ihn anzunehmen. In einem Moment des völligen Entblößt-Seins und tiefen (An-)Vertrauens, wurde ich völlig unerwartet beschimpft und statt Trost erhielt ich übergriffiges sexualisiertes Verhalten.

Eine sehr ähnliche Situation erlebte ich schon einmal in meinem Leben. Ich war vier oder fünf Jahre alt und entdeckte ein Geheimnis, das verborgen bleiben sollte. Die Erwachsenen machten das Problem, das sie durch ihr Verhalten erzeugten, zu meinem. Anstatt Verantwortung für ihr (Fehl-)Verhalten zu übernehmen, bestraften sie mich. Damit übertrugen sie ihr Problem auf mich. Ihr Verhalten war "unzüchtig", dafür wurde ich "gezüchtigt". Damit sie ihren Mund nicht aufmachen und zu dem stehen mussten, was sie taten, wurde ich "mundtot" gemacht. Ihre sexuellen Handlungen übertrugen sie auf mich, indem sie mich mit sexualisierten Handlungen bestraften. Sie nahmen mir meine Unschuld, damit ihre Schuld im Verborgenen blieb. Seitdem habe ich ein Problem.

Damals hätte ich einfach nicht eine Tür aufmachen sollen, nur weil mir langweilig war.
Vor zwei Jahren hätte ich mich nicht auf ein Angebot einlassen sollen, nur weil ich verzweifelt war.
Dazwischen gab es unzählige Situationen, in denen ich irgendetwas nicht hätte machen sollen, damit ich nicht immer wieder dieses Gefühl von Verrat empfinde.

Mein Verhalten bei empfundenen Verrat war Flucht. Ich habe unzählige Brücken hinter mir abgebrochen. Manche davon wahrscheinlich zu Unrecht. Ich interpretierte Verhaltensweisen als Verrat und war oft nicht in der Lage nachzufragen: Wieso hast du das getan? Wenn ich es schaffte, bekam ich als Antwort: War nicht so gemeint. Das musst du nicht so ernst nehmen. Wieso - was habe ich denn schon getan? Das bildest du dir ein. Ist halt passiert. Das Problem blieb bei mir.

Heute kann ich über dieses Kindheitserlebnis schreiben, ohne dass es mich wegbläst. Ich habe aufgehört mich zu schämen. Ich bin bereit mit diesem "Makel" zu leben. Me too. Ich wurde bereits als Kind angetatscht, als Jugendliche und Erwachsene ging es weiter. Was solls? Was ist denn schon dabei? Es waren keine Fremde, es waren Angehörige, Verwandte, Vertraute, Bekannte. Das ist genau der Grund, warum sich keiner für mich stark macht. Tatschen Fremde die Kinder und Frauen anderer an, ist das Geschrei groß. Werden Kinder und Frauen innerhalb des Familien- oder Bekanntenkreises angetatscht, dann will das doch keiner wirklich wissen. Dann hätte man ja ein Problem. Lassen wir das Problem lieber beim Angetatschten.

Das Aberwitzige eines solchen Verhaltens ist, dass das Kind lernt, die Verantwortung für das Fehlverhalten anderer zu tragen. Als Erwachsene(r) legt das Kind dieses konditionierte Verhalten nicht einfach ab. Den meisten ist es nicht einmal bewusst. Sie werden zu Menschen, auf die man getrost die Probleme abladen kann. Das ist bequem, man muss nicht selbst die Verantwortung übernehmen. Sie tun das. Sie sind das gewohnt. Und! Sie haben gelernt das auszuhalten.

Der Mensch, der sich zwei Jahre vorher übergriffig verhielt, bedeutet mir viel. Ich möchte diesmal nicht die Fluchtmöglichkeit wählen und so suche ich seit zwei Jahren nach einer anderen Lösung. Ich kämpfe gegen den Vertrauensverlust an - gegen das, was aus meinem Inneren schreit: Du kannst ihm nicht mehr vertrauen! Du kannst dich ihm nicht mehr anvertrauen! Das wird wieder passieren!

Heute kam die Lösung zu mir.
Es geht nicht darum, wem ich vertrauen kann und wem nicht.
Es geht darum, dass ich MIR vertrauen kann.
Es geht darum, dass ich aufhöre, die Probleme anderer zu meinen machen zu lassen.

Wie habe ich mich vor zwei Jahren verhalten?
Schon viel besser als all die Jahre zuvor, als ich dachte, Übergriffigkeit aushalten zu müssen.
Ich  bekam meine Enttäuschung in den Griff, sprang auf und ging.
Das Schlimme an all den Situationen war nicht die Übergriffigkeit an sich, sondern die fehlende Einsicht danach. Ein "Es tut mir so Leid, was ich getan habe, ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist, bitte entschuldige". Damit würden die Leute ihr Verhalten zu ihrem Problem machen - es bei sich behalten. Stattdessen sagen Sie "Was war denn jetzt so schlimm daran?" oder "Du machst da jetzt ein Problem wo gar keines ist". Sie schieben es rüber. Und was mache ich? Ich nehme es und fange erst recht an zu dramatisieren, indem ich meine Gefühle versuche zu rechtfertigen.

Wenn ich nun darauf vertrauen kann, dass ich in solchen Situationen mich für mich selbst stark mache, dass ich das, was sich in mir abspielt ernst nehme, dass ich mir selbst meine Würde lasse, indem ich mich entferne und für mich sorge - dann ist es gut. Dann spielt es keine Rolle mehr, ob mir eventuell jemand weh tun könnte, mich enttäuschen, meine Grenzen überschreiten, mich beleidigen. Wenn ich aufhöre, die Probleme anderer zu meinen machen zu lassen, mir ihr Verhalten als mein Problem übertragen zu lassen, wenn ich aufhöre, dramatisieren zu müssen, um dem anderen zu zeigen, wie sehr er mich verletzt hat, wenn ich aufhöre, nach Lösungen zu suchen für etwas, was nicht in meiner Verantwortung liegt, dann habe ich den Grad an Selbstvertrauen erreicht, der es mir ermöglicht, anderen ohne Angst zu begegnen.
Zwischen Erkenntnis und Umsetzung liegt eine Dimension. Ich schaffe das.

Ich vertraue mir selbst und darauf, dass ich mich in Sicherheit bringen kann, wenn nötig.
Ich vertraue mir selbst und darauf, die Fähigkeit zu entwickeln, Probleme, die durch das Verhalten anderer entstehen, bei ihnen zu belassen.

 

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Am Sterbebett meiner Mutter ...

Blogbeitrag vom 26. August 2019 "Am Sterbebett meiner Mutter ..."


Im Juni hat unsere Tochter geheiratet.
Es ist das einzige Familienfest, an dessen Teilnahme ich nicht zu verzichten bereit war. Seit dem Eklat nahm ich an keinem Fest mehr teil, an dem meine Mutter anwesend war. Der Hass auf sie, der sich damals zeigte und der Impuls sie zu schlagen, trafen mich zutiefst.

Das Wissen, dass ich meiner Mutter nach Jahren wieder begegnen würde, versetzte mich in vielerlei Gemütszustände. Der schlimmste Zustand ist immer die Phase der Destabilisierung. Der Zustand der Vierjährigen, die verraten und geschädigt wurde. Der eine Last aufgebürdet wurde, für die die erwachsenen Verantwortlichen keine Verantwortung übernehmen wollten. Der Zustand der vierjährigen Schutzbefohlenen, die nicht beschützt wurde. Dann liege ich im Bett und weine einen weiteren See an ungeweinten Tränen (wie viele davon - Himmelherrgott - gibt es in mir?). Das mache ich alleine, so bin ich das gewohnt. Kummer zu zeigen war und ist ein Tabu. Ich funktioniere wunderbar im Alltag, das habe ich gelernt.
Aus der Phase der Destabilisierung habe ich mich gerettet, indem ich mir vorstellte, meiner Mutter gegenüber zu treten und ihr all den Rotz vor die Füße zu werfen, der sich im Laufe der Jahre angesammelt hat. Ihr zu sagen, dass sie es mir zu verdanken hat, dass sie an dem Fest teilnehmen kann. Weil ich einverstanden war, dass meine Kinder weiterhin Kontakt zu ihr haben. Weil ich ertragen habe, dass sie nach Hause kamen und mir erzählten, dass die Oma schlecht über mich spricht. Weil ich es ausgehalten habe, dass sie versuchte meine Kinder und meinen Mann von mir zu entfernen. Weil ich darauf vertraute, dass die Menschen, die ich liebe, ihre Manipulationsgabe durchschauen und ihre eigenen Lösungen finden damit umzugehen. Weil ich niemanden auf meine Seite gezogen habe und forderte "Sie oder ich!". Im Geiste habe ich diese Szene so oft durchgespielt, dass es auf der Hochzeit nicht mehr nötig war. Ich wappnete mich, indem ich alle Dramen durchging, die für mich im Rahmen des Möglichen standen, indem ich alle Gefühle durchfühlte, die ich fühle, wenn das Wort "Mutter" fällt. Dann stand ich ihr gegenüber und fühlte - Nichts.
Sie hat ihre Macht über mich verloren.

Vor zwei Wochen fragte mich meine 15-jährige Nichte "Wünscht du dir, dass es zwischen deiner Mutter und dir wieder gut wird?" Sie kommt aus einem christlich-religiösen Rahmen, der meint, dass es doch zumindest möglich sein muss miteinander zu reden. Ich wusste, dass ich meine Worte mit Bedacht wählen sollte. Wollte ihr aber auch eine ehrliche Antwort geben. Ich sagte ihr, wie man es anstellen soll etwas wieder gut zu machen, was nie wirklich gut war. Dass es Menschen gibt, die einem eher schaden als dass sie einem gut tun. Darunter auch Eltern. Dass ich der Meinung bin, dass man sich von solchen Menschen entfernt halten sollte. Egal welche Rolle sie im eigenen Leben spielen.

Auch meinem Stiefvater bin ich in den letzten beiden Wochen zweimal begegnet. Wir hatten ein gutes Verhältnis zueinander. An meinem fünfzigsten Geburtstag rief er an, gratulierte mir und fragte mich, ob es mir gut gehe. Als ich bejahte, forderte er "Dann kannst du doch jetzt wieder auf deine Mutter zugehen. Ihr geht es nicht so gut". Ich schrieb ihm einen seitenlangen Brief und bat ihn darum, nicht mehr als Mittler aufzutreten. Wenn es meiner Mutter schlecht geht und sie ein Gespräch möchte, soll sie sich bitte selbst melden. Ich stellte ihm frei, den Brief meiner Mutter zum Lesen zu geben. Was er tat. Es folgte - Nichts.
Bei den letzten beiden Begegnungen hatte ich den Eindruck, dass er mir gegenüber unsicher und gehemmt war. Wenn ich ihn fragte "Wie hat dir dies oder das gefallen?", antwortete er "Uns - deiner Mutter und mir - hat das gefallen". Er hat sich positioniert. Ganz eindeutig an der Seite meiner Mutter. Was ich gut finde. Mir persönlich ging es nach diesen Treffen nicht so gut. Ich merkte, dass ich nicht nur köperlichen Abstand zu meiner Mutter brauche, sondern auch Abstand zu ihrem Leben und all den Geschichten, die damit verbunden sind.

Es gibt eine Sache, die mich schwer beschäftigt hat. Für die ich eine Lösung suchte.
In einem Forum schrieb ein Teilnehmer, dass er im Hospiz arbeitet. Dass er nicht verstehen kann, wie grausam Kinder sein können, wenn sie den letzten Wunsch eines sterbenden Elternteils nicht erfüllen wollen, indem sie nicht am Sterbebett erscheinen. Ich kann das sehr gut verstehen.
Auch meine Mutter wird sterben. Keine Ahnung wie. Aber für den Fall, dass sie am Sterbebett den Wunsch äußert, mich sehen zu wollen, muss ich mich schwer wappnen. Das wurde mir durch den Forumsteilnehmer klar. Ich muss mich nicht nur dafür wappnen, was meine Mutter mir noch sagen möchte, sondern auch dagegen, was mir entgegenwehen könnte, wenn ich diesen Wunsch ausschlage. Was also würde ich machen? In einem Gespräch mit einer Sterbebegleiterin wurde mir klar, dass ich eine neutrale Person vorschicken könnte, die die wahre Intention meiner Mutter ausmachen könnte. Mir wurde auch klar, dass ein Besuch bei ihr lediglich von der Hoffnung geleitet wäre, dass sie am Ende ihres Lebens Einsicht zeigt. Dass sie Verantwortung für ihr Päckchen übernimmt, das sie mir aufgeladen hat.
Brauche ich das (noch)?
Und ist es nicht wesentlich wahrscheinlicher, dass sie noch einmal ihr Gift über mir versprüht? Geht und mich endgültig alleine lässt damit?
Was also erhoffe ich mir? Die große Aussöhnung? Genugtuung? Wiedergutmachung? Möchte ich tatsächlich meiner Mutter diese Vierjährige anvertrauen, die ihr ganzes Leben darauf wartet getröstet zu werden? Möchte ich wirklich dieser Illusion unterliegen, dass meine Mutter, die das ihr ganzes Leben nicht geschafft hat, es im Moment des Sterbens schafft?
Oder will ich nicht ein für alle Mal die Verantwortung für mein inneres Kind übernehmen und es einfach aus jeder möglichen Gefahrenzone entfernt halten? Und meiner Mutter die Verantwortung für ihr eigenes Leben überlassen. Ungeachtet dessen, was ihr wahrer Wunsch ist. Ungeachtet dessen, was alle Familienmitglieder, Hospizmitarbeiter, etc. davon halten.

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie sehr mich die Forderung meines Stiefvaters an meinem Geburtstag aus dem Gleichgewicht brachte. Ich möchte das nie mehr wieder erleben müssen. Ahne aber, dass der letzte Wille eines Menschen ein ganz anderes Kaliber ist.
Wie also kann ich es für mich möglich machen diesen (hypothetischen) Wunsch nicht zu erfüllen?

Die Lösung: Indem ich meiner Mutter vergebe.

Viele Jahre hätte ich kotzen können, wenn jemand von Vergebung oder Verzeihung sprach. Nie im Leben!

Heute weiß ich, dass Vergebung ein Akt der Selbstbefreiung ist..
Ich habe mich intensivst mit dem Leben meiner Mutter auseinandergesetzt. Therapeuten finden das nicht gut. Diese Art von Beschäftigung nimmt einem die Energie für das eigene Leben. Ich bin anderer Meinung. Auf einer rationalen Ebene kann ich heute verstehen, warum meine Mutter zu dem Menschen wurde, der sie ist. Warum sie das Wohlergehen ihres Kindes dem eigenen und dem der Familie geopfert hat. Das Verständnis für ihre Entwicklung lässt es zu, dass ich ihr auf Erwachsenenebene vergeben kann. Vergebung heißt für mich: Ich kann es nachvollziehen. Was nicht heißt, dass ich es für gut befinde.
Das geschädigte Kind in mir will nie mehr wieder etwas mit ihr zu tun haben. Weil es nicht mehr vertrauen kann.
Ich gebe dem Kind Priorität. Weil nur ich es beschützen kann. Kein anderer. Ich kann meiner Mutter also vergeben und muss ihr aus dem Weg gehen.

Falls meine Mutter von ihrem Sterbebett aus wieder einen ihrer Botschafter schicken sollte, der von mir fordert "Deine Mutter möchte dich sehen. Diesen letzten Wunsch kannst du ihr nicht ausschlagen", werde ich antworten "Richte ihr aus, ich habe ihr vergeben".

Als mein Stiefvater mir bei der letzten Begegnung vorschwärmte, wie gesund meine Mutter ist, wie fit sie beide noch die Welt bereisen, dass sie keinerlei Verschleißerscheinungen zeigt, keine Arthrose hat, kein Problem mit dem Herzen, keine Depression, keinen Krebs, keine chronische Krankheit, wurde ich stinkwütend und dachte mir "Kein Wunder. Hat sie ja all die Jahre ihr Päckchen auf mir abgeladen und habe ich die Last für sie getragen".

Ihr seht, auf der Skala der Vergebung (oder des Gleichmuts) ist noch Luft nach oben.
 

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Die Sache mit dem Vergeben

Blogbeitrag vom 24. Januar 2020 "Die Sache mit dem Vergeben"

 

Ihr Katholiken habt es gut. Ihr geht zur Beichte, bekennt eure Sünden, bekommt die Absolution, betet 3 Vaterunser und 2 Ave Maria, geht heim und könnt wieder sündigen - bis zur nächsten Beichte. Euch wird alles und immer vergeben.

Sprach mein protestantischer Vater, wenn meine katholische Mutter vom sonntäglichen Gottesdienst nach Hause kam und ihm unmissverständlich klar machte, dass er ihr nicht genügt.


Papa, ich glaube, ich verstehe, was du meinst. Aber es fühlt sich für mich noch so an, als würde dieser Verbrecher ungeschoren davonkommen, wenn ich ihm vergebe. Wie kann ich entschuldigen, was er getan hat? Ist es denn fair Missy gegenüber, wenn ich aufhöre, wütend auf ihn zu sein und ihn zu verurteilen?

Spricht Mack zu Gott, als der mit ihm über Vergebung spricht. Vergebung für den Mann, der Macks kleine Tochter Missy entführt und umgebracht hat.

Mackenzie, Vergebung entschuldigt überhaupt nichts. Glaube mir, dieser Mann ist wirklich alles andere als frei. Und es ist nicht deine Aufgabe, ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Darum werde ich mich kümmern. Und was Missy angeht: Sie hat ihm schon vergeben.

Antwortet Gott.

Willst du Gerechtigkeit oder Gnade?

Fragt Gott Mack, als es darum geht, dass Mack Rattengift in die Pullen seines alkoholkranken Vaters geschüttet hat, nachdem der ihn an einen Baum gebunden und ausgepeitscht hatte.
(Alle 3 Zitate aus "Die Hütte" von William Paul Young)


Ich möchte, dass Sie wissen, dass ich Ihnen vergebe.

Sagt Philomena zu der Ordensschwester, die ihren Sohn an Amerikaner verkaufte und dessen Wunsch nach Kontaktaufnahme zur leiblichen Mutter unterband, als er totkrank in das Kloster zurückkehrt, in dem er entbunden wurde. (Film: Philomena)

 Man kann (giftigen) Eltern vergeben,
 aber besser am Ende und nicht zu Beginn des emotionalen Hausputzes.

    Susan Forward

Zitat zum Blogpost von Norbert Rogsch "Warum ich denke, dass Vergebung für uns eine Falle sein kann".

Du kannst dich nicht mit den Tatsachen abfinden.

Sagte der Maler zu mir, als ich nicht glauben und akzeptieren wollte, dass das Haus, in das wir einziehen wollten, nicht, wie es in der Maklerausschreibung stand, komplett gestrichen wird, sondern nur partiell.

Ich konnte mich tatsächlich nur schwer mit Tatsachen abfinden. Nahm es sehr persönlich, wenn sich jemand nicht an Abmachungen hielt. Darunter fielen Unpünktlichkeit, Unzuverlässigkeit, Verabredungen. Und .... das Einpassen in MEIN Bild, das ich mir von allem machte. Zum Beispiel dem Bild der Idealen Eltern. Es ist ein allgegenwärtiges Bild (ein Märchen?) und ich dachte, ich hätte ein Recht auf solche Eltern. Mir würde es zustehen Eltern zu haben, die mich bedingungslos lieben, mich beschützen, mich fördern, für mich da sind. Ich habe meine Eltern viele Jahre genau so wenig gesehen wie sie mich. Ich habe sie immer nur unter dem Filter meines Idealbildes gesehen, dem sie natürlich nie entsprachen - nicht entsprechen konnten.

Dann geschah ein kleines Wunder.
In einer Arztpraxis las ich in einem Buch von Steve Biddulph den Satz "Auch Väter möchten geliebt werden" und der machte was mit mir. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt in meinem Leben dachte ich, dass mein Vater der Mensch in meiner Familie ist, der mir Probleme macht. Da hatte mich meine Mutter viele Jahre in ihr Boot geholt und ich ruderte, mehr oder weniger freiwillig, mit ihr. Seit ich denken kann, hat sie meinen Vater schlecht gemacht und ausgeschlossen. Wer nicht für sie war, der war automatisch gegen sie. Was derjenige zu spüren bekam.
Bei meiner ersten homöopathischen Anamnese fragte mich der Arzt, was ich gerne in meinem Leben verändern würde. Wie aus der Pistole geschossen kam von mir "Ich hätte gerne einen anderen Vater!" Dieser Satz versetzte mich in eine große innere Unruhe. Da begab ich mich wegen chronischer Nebenhöhlenentzündung in homöopathische Behandlung und dieser Arzt holt die zutiefst verborgenen Geheimnisse aus meiner Seele. Ich war völlig verwirrt und brach die Behandlung ab. Keiner durfte so etwas zutage fördern.
Ich begann zu hinterfragen. Warum wünschte ich mir einen anderen Vater? Es kamen viele Vorwürfe. Trotzig pochte ich auf mein Recht, den Idealen Vater haben zu wollen. Das Nachdenken sortierte. Ich erkannte all die Unzulänglichkeiten und Macken auf der einen Seite, aber auch all das Schöne Tolle Wunderbare auf der anderen. Allmählich erkannte ich, dass mein Vater mich liebte. Auf seine ihm mögliche Art und Weise. Als zweifache Mutter erwachsener Kinder kann ich heute sagen: mit schweren Macken auf eine demütige und dankbare Weise.
Auch Väter möchten geliebt werden.
Ich schickte ihm eine Karte mit den Worten "Papa, ich hab dich lieb".
Das waren die Zauberworte, die unsere Beziehung zu einem späten, aber innigen Blühen brachte.
Am Ende teilte er seinen Frieden mit mir. Höre ich heute das Wort "Vater", ist da ein Gefühl der innigen Zuneigung und ein Lächeln, das von ihm erwidert wird - wo auch immer er ist. Das ist Glück.

Das Jahr 2019 war für mich ein zutiefst emotional aufwühlendes und anstrengendes Jahr.
Ein einschneidendes Erlebnis war die Begegnung mit meinem älteren Bruder zu Ostern. In einem Gespräch wurden die uralten Gefühle der jüngeren Schwester, die sich vom älteren Bruder alleine gelassen fühlt, aktiviert.
Zu einem anderen Zeitpunkt hätte ich dem Arzt antworten können "Ich hätte gerne einen anderen Bruder!" Auch von einem älteren Bruder gibt es selbstverständlich ein Idealbild, in das meiner sich ganz und gar nicht einfügen lässt. Ich hätte mich ganz tief in meine unerfüllten enttäuschten Erwartungen begeben können. In meine Überzeugung, dass in meiner Familie doch wirklich keiner so ist, wie er sein sollte. Eingeschlossen ich selbst. Trotzig hätte ich auf mein Recht auf einen älteren, starken Bruder pochen können. Aber wozu? Ändert das irgendetwas? Irgendwen?
Was macht das mit mir? Wenn ich darauf beharre, dass jemand anders sein sollte, als er ist? Es versetzt mich in tiefe Unruhe und in noch tieferen Unfrieden. Und ändert nichts.

Es ist an der Zeit die Tatsachen zu akzeptieren.

Mein Vater war wie er war. Ein Mensch mit Fehlern, Schwächen und Stärken. Mein Bruder ist wie er ist. Es hat Gründe, ich kenne sie zum großen Teil nicht und würde ich sie kennen, würde das nicht heißen, dass ich sie alle verstehe. Wir sind in der gleichen Familie aufgewachsen und doch in völlig unterschiedlichen Welten.
Die Frage, die sich mir immer wieder stellt, ist: Wo will ich hin? Was ist mein Ziel?

    Sei unerschütterlich. Nicht im Kämpfen, sondern im Lieben.

Ich möchte meinen Bruder lieben wie ich meinen Vater geliebt habe. Es ist ein tiefes Grundbedürfnis in mir. Größer und stärker als all die anderen Bedürfnisse. Möge meine Liebe größer und stärker sein als es ihr Unvermögen jemals sein könnte.
Und so ganz still und leise äußert sich dieses Gefühl, das aus den Tiefen meines Wesens an die Oberfläche drängt, auch für meine Mutter. Ich liebe sie. Ja! Ich liebe sie. Dieser Blog ist ganz und gar ihr gewidmet. Würde ich diesen Aufwand betreiben, mein Innerstes nach Außen kehren, wenn ich sie nicht aus tiefstem Herzen lieben würde? Völlig egal, ob diese Liebe erwidert wird oder nicht. Ich liebe. Egal, was zwischen uns passiert ist. Ich liebe. Weil ich nicht anders kann. Ich MÖCHTE lieben. Ich ENTSCHEIDE mich zu lieben. Das macht die Dinge nicht gut zwischen uns. Was sich ändert .... es gibt keine Schuld mehr. Sie ist unvermögend und ich bin es auch. Möge meine Liebe größer und stärker sein als es mein eigenes Unvermögen jemals sein könnte. Mit dem Eingeständnis meiner Liebe für meine Mutter lasse ich sie los. Aus meinen Ansprüchen und Erwartungen an DIE IDEALE MUTTER. Sie war es nicht und wird es (ohne ihr die Möglichkeit nehmen zu wollen) nicht. Was macht das mit mir?
Es lässt mich unglaublich tief atmen. Es wird ruhig in mir.

Das ist meine persönliche Interpretation von Vergebung.

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Das 4. Gebot

Blogbeitrag vom 6. Juli 2020 "Das 4. Gebot"

Während meiner zweiten Schwangerschaft brach bei mir Asthma aus. Zuerst als ganz normal auftretende Kurzatmigkeit interpretiert, entwickelte es sich über die Jahre zu einem lebensbegleitenden Umstand, der einhergehend mit Allergien meine Lebensqualität stark einschränkte. Während andere Mütter mit ihren Kindern im Frühjahr die Spielplätze bevölkerten, lag ich unter völliger Verdunklung auf dem Sofa, um meine Panikattacken in den Griff zu bekommen. Oft konnte ich gefühlt nicht weiter als bis zur Speiseröhre atmen und hatte das Gefühl zu ersticken.

Ich inhalierte bereits zu Weihnachten prophylaktisch Cortison. Wenn die Anfälle zu stark waren, bekam ich zusätzlich Cortisondepots gespritzt. Ich war Mitte 30 und fühlte mich wie ein Wrack.
Lungenarzt, Hautärztin, wen auch immer ich aufsuchte, alle hatten nur eine Prophezeiung: Asthma ist unheilbar. Finden Sie sich damit ab.
Einzig meine damalige Hausärztin, die nebenher eine Applied Kinesiology Ausbildung machte, gab mir Hoffnung. Sie war die Erste, die fragte, wann und unter welchen Umständen das Asthma ausbrach. Ihre Diagnose: Sie leiden an einem traumatischen Asthma und das ist, meiner Meinung nach, heilbar. Wenn Sie bereit sind, sich einem langen und eventuell schmerzhaften Prozess zu unterziehen, dann können Sie sich davon befreien. Ich war bereit. Und sehe mich als geheilt. Kein Inhalator mehr als ständiger Begleiter in meiner Tasche, keinerlei Medikamente mehr, minimale Pollenallergie, ich kann ganz tief durchatmen und tu das auch so oft ich kann.

Eine Hausaufgabe wärend der Anfänge meines Heilungsprozesses bestand darin, dass ich jeden Tag ein Dankesgebet für meine Eltern beten sollte. Ui, hat sich da was in mir gesträubt! Die Dankesrede kam mir nur schwer und äußerst widerwillig über die Lippen. Hat es doch damals so ausgesehen, als ob meine Eltern so ziemlich alles falsch gemacht haben. Ich war voller Vorwürfe. Und dachte selbstverständlich, dass ich als Mutter alles viel viel besser mache. Ohne zu merken, dass ich mit genau dieser Einstellung ins familiäre Muster rutsche. Weil ich versucht war meinen Kindern das (im Übermaß) zu geben, was ich mir gewünscht hätte. Mit einer Selbstgerechtigkeit, die wenig Aufmerksamkeit für die tatsächlichen Bedürfnisse dieser mir anvertrauten Wesen zuließ. Ich kann heute nur hoffen, dass meine Kinder ein milderes Urteil über mich abgeben, als ich es viele Jahre über meine Eltern gefällt habe.
Meine Eltern haben mir das gegeben, was sie mir geben konnten. Zu mehr waren sie nicht fähig. Keinen von beiden trifft eine Schuld. Sie litten unter Unfähigkeit. So wie ich auch. Ich habe viele Fähigkeiten, sehe aber heute durchaus auch meine Unfähigkeiten. Ich habe mich bemüht und das gegeben, was ich geben konnte.

Zeit meines Lebens habe ich die Fühler ausgestreckt nach einer weisen, älteren Frau. Nach einer (anderen) Mutter. Bis heute habe ich sie nicht gefunden. Vielleicht sollte ich sie nicht finden, denn ich habe ja eine Mutter. Und diese Mutter hat mich viel gelehrt.
In einem Buch las ich mal, dass Kinder kein Recht darauf haben beschützt zu werden. Sie unterliegen Schutz, wenn sie geliebt werden. Wer will Eltern dazu zwingen ihre Kinder zu lieben? Ich liebe meine Mutter, aber diese Liebe geht nicht so weit, dass ich mich wieder ihrer Herrschaft unterordnen würde. Diese Liebe macht nicht alles gut zwischen uns. Das wäre eine große, gefährliche Illusion, die wieder nur in Schmerz enden würde. In Selbstdestruktion.

Die Schriftstellerin Helga Schubert könnte meine Mutter sein. Sie ist 80 Jahre alt und schrieb einen Text über ihr Mutterverhältnis. Wie sich die Gefühle doch alterslos ähneln. Auch sie fand keine neue Mutter. Auch sie beschäftigt sich mit dem Erbe einer Mutter, die alles verloren hat. Ich bin nicht alleine. Da gibt es eine ältere, weise Frau, die sich wie ich nach innerem Frieden sehnt. Das gibt mir ein gutes Gefühl.

 

Was ist so schwer mit dem Vierten Gebot? Was ist los mit Ihnen und Ihren Eltern? fragte die Kurpastorin  mich  dort, eine junge knabenhafte  Frau, am langen Tisch mir gegenüber, Deckenbeleuchtung, außer ihr und mir niemand im großen Kirchgemeindesaal der Nordseeinsel. Sie lächelte nicht ein bisschen. Es geht nur um meine Mutter. Du sollst deinen Vater und deine Mutter lieben, auf dass es dir wohl gehe. Das ist doch das Vierte Gebot. Irrtum, sagte die Pastorin. Von Liebe ist im Gebot nicht die Rede. Gott verlangt von uns nicht, dass wir unsere Eltern lieben. Wir brauchen sie nur zu ehren. Sie haben sich ganz umsonst bekümmert, sagte sie. Sie können nicht gezwungen werden, Ihre Mutter zu lieben. Ihre Mutter kann aber auch nicht gezwungen werden, Sie zu lieben. Sehen Sie, Ihre Mutter hat sich doch erfolgreich eine Tochter gesucht. Suchen Sie sich doch eine Mutter. Falls Sie eine brauchen. Sie lächelte mir aufmunternd zu, wie einer Studentin. 

Aus "Vom Aufstehen" von Helga Schubert - Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin 2020

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Dank

Ich möchte mich sehr herzlich für die Zuschriften meiner Leser bedanken.
Wer sich durch meine Worte verstanden fühlt, lässt auch mich verstanden wissen.

DANKE

 

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