agentur zuhören

Verlassene Eltern und Kinder

Wenn man sich mit der Vergangenheit aussöhnt,
bevor man sich wirklich damit konfrontiert,
wird man sich selbst die Schuld an allem geben.
Auf dem Weg zur Vergebung gibt es keine Abkürzung.

Barbara Sher

Erbe

Auf dieser Seite finden Sie Gedanken zum Thema "Verlassen werden und Verlassen sein". Seit Jahren häuft sich das Phänomen, dass Kinder meiner Generation (1960 - 1975 Geborene) ihre Eltern verlassen. In den Medien werden diese Kinder als "Superegoisten" bezeichnet, während sich die Eltern als "Wegwerfeltern" fühlen.
Die verlassenen Eltern gehen immer häufiger an die Öffentlichkeit, während die Kinder bei Therapeuten oder in Seminaren zu verstehen versuchen, was in ihrem Leben wirkt. Oft machen die Kinder die Arbeit, für die ihren Eltern früher die Möglichkeiten und heute meistens die Bereitwilligkeit fehlt - Seelenarbeit.
Es fehlt in der breiten Öffentlichkeit noch immer das Verständnis dafür, dass das Erbe, das wir an unsere Nachkommen weitergeben, nicht nur aus materiellen Dingen besteht. Das emotionale Erbe, das wir unseren Kindern mitgeben, wirkt tief und zerfällt selten zu Staub. Das Auflösen eines unerwünschten materiellen Erbes geht heute ruckzuck. Dafür können wir jemanden beauftragen. Das Auflösen eines unerwünschten emotionalen Erbes erfordert konsequente, persönliche Arbeit.

Hinweis

Für mehr Übersichtlichkeit habe ich auf dieser Seite weiterführende Links aus meinen ursprünglichen Beiträgen entfernt. Möchten Sie mehr erfahren, klicken Sie bitte auf die Blogbeiträge.

Sie finden auf dieser Seite folgende Beiträge:

Tipps und Anregungen

Kriegskinder - die vergessene Generation

Kontaktabbruch - Verlassene Eltern

Kriegsenkel - die Erben der vergessenen Generation

Transgenerative Traumata

Du hast mich nie gesehen

Du sollst Dein Kind ehren

Band ums Herz

Brief einer Mutter an ihren Sohn

Brief einer Tochter an ihre Mutter

Brief an eine Schriftstellerin

Leserbrief eines verlassenen Vaters

Leserbrief einer verlassen(d)en Tochter I

Leserbrief einer verlassen(d)en Tochter II

Kontaktabbruch - Schweigen und Verschwinden

Vergebung

Wechsel

Weitere Beiträge und Links zum Blog "Gedankenstreuner"

Weitere Informationen zum Thema "Traumatisierte Familien"

Dank

(Hinweis: Wenn Sie auf die Überschrift klicken, kommen Sie direkt auf den Beitrag. Zurück zur Inhaltsangabe einfach den Button "nach oben" drücken)

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Tipps und Anregungen

siehe hier auf der Seite "Traumatisierte Familien".

Ein Interview mit der Familientherapeutin Sandra Konrad, welches das Thema "Kontaktabbruch" kurz und anschaulich erklärt, können Sie hier lesen (Spiegel online, 23.12.2018).

 

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Kriegskinder - die vergessene Generation

Blogbeitrag vom 27.01.2012 "Kriegskinder - die vergessene Generation"

Gerade habe ich das Buch "Die vergessene Generation - Kriegskinder brechen ihr Schweigen" von Sabine Bode ausgelesen.

Das Buch zeigt auf, dass die Leiden der Generation der Kriegskinder und vor allem der Kinder, die in den Kriegsjahren geboren wurden, lange Zeit ignoriert wurden. Auch von ihnen selber.

Das Buch beschreibt die Traumata, denen diese Kinder ausgesetzt waren und ihre Folgen. Auch meine Eltern gehören dieser Generation an und nun, nach der Lektüre dieses Buches, kann ich viele Dinge besser verstehen. Warum sie so sind, wie sie sind und warum in meiner Familie, in der die materielle Versorgung an oberster Stelle stand, die Frage gestellt wird "Was hast du? Es hat dir doch an nichts gefehlt" . Das Buch gibt mir Erklärungen für die von mir empfundene Gefühlskälte in einer nach außen "heilen" Familie.

Das Buch zeigt auf, dass unverarbeitete Traumata an Kinder weitergegeben werden, wortlos, sprachlos. Und dass auch meine Generation weiterhin an den "transgenerativen Traumata" des Krieges zu arbeiten hat.

Was bis heute häufig fehlt, ist eine echte Bereitschaft der Kriegskinder zur Diskussion, denn viele haben Angst davor, die Schrecken der Vergangenheit aufzuwühlen. Manche sehen sich durch Krankheiten oder Panikattacken dazu gezwungen. Viele werden sie mit ins Grab nehmen.

Es ist verständlich, dass diese gebeutelte Generation stumm bleibt, wenn es um Kriegsgräuel, Luftangriffe, Luftschutzkeller, Vertreibung, Flucht und Misshandlungen geht. Das ist Vergangenheit und heute geht es uns gut.

Leider stimmt das nicht ganz.

Denn gerade meiner Generation, den Kindern der Kriegskinder, geht es seelisch häufig nicht so gut. Eine Generation, die ins Wirtschaftswunder hineingewachsen ist und materiell im Paradies lebt. Einer Generation, von der alle denken, dass es ihr prächtigst gehen müsse, da kein Hunger mehr, kein Krieg, keine Schrecken einer Diktatur.

Wer dieses Buch liest, das auch viele Beispiele aus der Traumaforschung bringt, versteht, dass der Schrecken noch nicht vorbei ist. In uns Kriegsenkeln hallt der Krieg nach und nur durch Erinnerungen, die weitergegeben werden, können wir unsere Geschichte verarbeiten. Dazu sind ehrliche Gespräche nötig. Gespräche in den Familien, von denen eine jede ihre individuelle Geschichte hat.

Ich hoffe, dass es viele dieser Gespräche geben wird, so lange die Zeitzeugen noch leben, damit wir ein Bild bekommen von dem, was unseren Familien wirklich passiert ist und wir zuordnen können, was in uns wirkt.

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Kontaktabbruch - Verlassene Eltern

Blogbeitrag vom 30.01.2012 "Kontaktabbruch - Verlassene Eltern"    

Letztes Jahr erregte eine Anzeige in unserer Tageszeitung meine Aufmerksamkeit. Sie lautete folgendermaßen:

VERLASSENE ELTERN

Eine sozialpolitische und gesellschaftliche Katastrophe bahnt sich deutschlandweit an. Immer mehr erwachsene Kinder brechen ohne Angabe von Gründen den Kontakt zu ihren Eltern ab.

Seit März diesen Jahres besteht auch in Erlangen, wie bereits in vielen anderen Städten in Deutschland, eine Selbsthilfegruppe, in der solche "Verlassene Eltern" sich über ihren Schmerz, ihre Wut, Traurigkeit oder Hilflosigkeit aussprechen können.

Hinter der Anzeige steht die Selbsthilfegruppe Verlassene Eltern, die vor ca. acht Jahren von einem betroffenen Elternpaar gegründet wurde. Im Gründungsjahr zählte die Homepage, laut Begründern, 300 Leser, die bis zum Jahr 2010 auf über 110.000 Leser anstieg (Anm. Die hier erwähnte Homepage exisitiert seit Sommer 2013 nicht mehr. Unter "Verlassene Eltern" finden Sie nun das Trauernetz Consolare - Trauer- und Lebensbegleitung in Krisenzeiten / Verlassene Eltern - Verlassene Menschen. Hier sind regionale Selbsthilfegruppen gelistet).
Auf der Homepage befindet sich ein Klick für Söhne/Töchter mit der Bitte "Helft uns eure Entscheidung/euer Handeln zu verstehen".
Warum habt ihr uns verlassen?
Es wird um Sponsoren geworben und um Fachleute, die helfen das Phänomen zu verstehen und zu verarbeiten.

Ich glaube, dass das Buch von Sabine Bode "Die vergessene Generation" diesen Eltern eine große Hilfe zur Antwortfindung wäre. Ich hatte letztes Jahr Kontakt zur SHG aufgenommen und stellte fest, dass ein großes "Opferbewusstsein" vorliegt. Es geht weniger um Verständnis für das Verhalten der Kinder, als vielmehr um Schuldzuweisung und Interpretation. Das zeigen Vorträge von Autoren, die Bücher über "Wegwerfeltern" schreiben oder Zeitschriftenbeiträge, die solche Kinder als "Superegoisten" bezeichnen. Für mich ist das eine starke Polarisierung und erinnert mich an die Diskussion in den achziger Jahren, als Bücher auf dem Markt erschienen, in denen die Eltern sehr schlecht wegkamen und wir die Schuld bei ihnen suchten, wenn uns unser Leben nicht gelang.

Die Frage, die sich mir stellt: Ist das nötig? Und vor allen Dingen: Hilft das irgendjemandem?

Sabine Bodes Buch macht klar, dass es sich hier um eine Generation handelt, die bereits viel früher verlassen oder getrennt wurde. Von den Vätern, die in den Krieg zogen, von den Müttern, wenn sie evakuiert oder auf Kinderlandreisen verschickt wurden, von ihren Brüdern, die im Krieg fielen, manchmal von der Familie, die neben ihnen im Bombenhagel starb oder wenn sie verloren gegangen sind in überfüllten Zügen oder auf der Flucht.

Vielleicht ist das wortlose Gehen der Kinder eine Erinnerung an diese Traumatisierungen in frühester Kindheit. Und dort sind die Antworten zu suchen. Sicher hat diese Generation das Beste getan, das ihnen möglich war und dafür gebührt ihr Anerkennung und Dank. Vielleicht war das Beste, das sie geben konnte, nicht das, was ihre Kinder gebraucht hätten. Es geht nicht um Schuld, es geht um Unvermögen, um Unfähigkeit, die einen Grund, einen Ursprung, eine Wurzel hat.

Die vergessene Generation entwickelt sich zu einer verlassenen Generation, die nun ihr Schweigen bricht. Und sich als Opfer des Verhaltens ihrer Kinder sieht, statt sich bewusst zu werden, wo sie in ihrem Leben wirklich Opfer waren. "Was uns nicht umbringt, macht uns hart", "Hart wie Kruppstahl", das sind Aussagen mit denen sogar ich noch aufgewachsen bin und die keinerlei Opferbewusstsein hochkommen lassen. Im Gegenteil. "Es hat uns nicht geschadet", der Standardsatz, wenn es um die Kindheit im Krieg und die Folgezeit ging. Sind die verlassenen Eltern Opfer ihrer Vergangenheit oder Opfer ihrer Kinder? Und wo dürfen sie sich als Opfer fühlen? Dürfen Kinder von geächteten Nazis Opfer sein? Gehört Schmerz, Wut und Hilflosigkeit vielleicht in die Kindheit? In die Zeit, die bisher missachtet, verschwiegen wurde? Waren die "Wegwerfeltern" bereits "Wegwerfkinder"? Oder ist es einfacher sich als Opfer des Kindes, das einen missachtet, zu fühlen? Ist es einfacher all die Wut, die Hilflosigkeit, den Schmerz und auch Schuld, Scham und Ohnmacht, all die Gefühle, die bisher nicht gefühlt werden durften, auf die undankbaren Kinder zu projizieren?

Auf der Fachtagung der SHG 2010 hielt der Therapeut Jörg Eikmann einen Vortrag und sagte, wenn die Kinder den Mut hätten den Mund aufzumachen, dann wäre das starker Tobak für die Eltern.

Das entspricht dem, was ich in verschiedenen Foren zu diesem Thema gelesen habe. Wenn die Eltern wirklich eine Antwort auf ihre Frage "Warum?" haben wollen, dann müssen sie sich warm anziehen.

Denn die Wahrnehmung der Eltern ist eine andere als die ihrer Kinder. Auch die Kinder fragen "Warum?" und haben bisher selten eine Antwort bekommen. So unbeantwortet die Fragen der Kinder oft blieben, so unbeantwortet bleiben in heutigen Zeiten die Fragen der Eltern. Das Thema "Verlassen werden und Verlassen sein" ist ein heißes Thema in unserer Gesellschaft. Und ich hoffe, dass alle Parteien ihren inneren Frieden finden, auf welchem Weg auch immer. Erst wenn wir unseren inneren Frieden gefunden haben, und das kann nur jeder für sich selber tun, ist es möglich, den Frieden im Außen zu schaffen. Das gilt für die Kinder und für die Eltern.

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Kriegsenkel - die Erben der vergessenen Generation

Blogbeitrag vom 07.02.2012 "Kriegsenkel - die Erben der vergessenen Generation"

Und nun widme ich mich dem zweiten Buch von Sabine Bode, das den Titel "Kriegsenkel - Die Erben der vergessenen Generation" trägt.

Sie zitiert Cicero:

Nicht zu wissen, was vor der eigenen Geburt geschehen ist, heißt immer ein Kind zu bleiben.

Und an anderer Stelle wird Michael Ermann, der mit einer Forschungsgruppe an der Uni München die Spätfolgen deutscher Kriegskindheiten untersuchte, zitiert:

Ohne Erinnerungsarbeit gibt es kein Gefühl der Kontinuität des eigenen Lebens - ohne diese gibt es keine positive Identität.

In diesem Buch geht es nun um die Generation der "Baby-Boomer" oder der, nach einem Buch von Florian Illies benannten durch und durch konsumorientierten "Generation Golf", hauptsächlich um die 1960 - 1975 geborenen Kinder der Kriegskinder. Um meine Generation.

Im Klappentext des Buches formuliert Illies einen Rückblick auf seine Kindheit mit folgenden Worte:

Noch ahnte man nicht, dass man einer Generation angehörte, für die sich leider das ganze Leben, selbst an Montagen, anfühlte wie die träge Bewegungslosigkeit eines Sonntagnachmittags.

Sabine Bode ergänzt:

Noch ahnte man in der Generation Golf nicht, dass mit Globalisierung, Finanzkrise und Arbeitslosigkeit ganz andere Themen als Konsum auftauchen würden. Noch ahnte man nicht, dass man der ersten Nachkriegsgeneration angehörte, der im Unterschied zu Eltern und Großeltern kein behaglicher Ruhestand vergönnt sein würde, weil eben diese sich der öffentlichen Kassen gedankenlos bedient und ihren Nachkommen einen gigantischen Schuldenberg hinterlassen hatten. Noch ahnte man nicht, dass man zu  gehemmt sein würde, um die Älteren mit ihrer Maßlosigkeit und ihrem Desinteresse an gesellschaftlicher Zukunftsgestaltung zu konfrontieren. Noch ahnte man nicht, dass die sechziger und siebziger Jahrgänge maßgeblich an einem folgenreichen gesellschaftlichen Phänomen beteiligt sein würden - der Kinderlosigkeit.

Und ich möchte hinzufügen: Noch ahnte ich nicht, dass ich Erbe eines transgenerationalen Traumatas bin.

Für mich ist Sabine Bodes Buch Gold wert, denn auch in meiner Familie gab es Schweigen und viele unbeantwortete Fragen, was die Kriegszeit betraf. Und doch spürte ich das Grauen, das unter dem Schweigen lag. Das Thema Krieg und seine Folgen war allerdings nicht nur in meiner Familie ein Tabu "Davon will ich nichts mehr hören. Ich bin froh, dass das vorbei ist. Hör auf in Dingen zu wühlen, die dich nichts angehen. Lass das ruhen. Dir geht es gut, dir mangelt es an nichts. Sei still." Auch Freunde meinten und meinen "Warum beschäftigst du dich damit? Warum belastest du dich mit dem ganzen alten Schrott?" Ich beschäftige mich damit, weil es nicht aus Freiwilligkeit geschieht, sondern aus einer ganz klaren Not heraus. Ich bin belastet. Und dieses Buch zeigt mir: Ich bin nicht alleine, ich bin in guter Gesellschaft.

Bevor die 14 Fallbeispiele aufgeführt werden, geht es in der Einführung darum, dass die  Kriegskinder in ihrer Kindheit verheerende Erfahrungen machten, jahrzehntelang jedoch nicht das Gefühl hatten, etwas besonders Schlimmes erlebt zu haben. Es fehlte ihnen damit der emotionale Zugang zu ihren Erfahrungen und Prägungen. 

Die Deutschen als Opfer waren als Thema unerwünscht, vor allem seit in den siebziger Jahren die amerikanische Fernsehserie "Holocaust" ausgestrahlt wurde. In den Medien, an den Schulen, in der Forschung ging es fast ausschließlich um die Fakten und Hintergründe von Hitler-Deutschland, um die Opfer der NS-Verbrechen.

Weiterhin wurde gerade den Kindern, die während des Krieges geboren waren, abgesprochen, dass sie die Kriegsgräuel mitbekommen hatten. Ihnen wurde gesagt "Vergiss alles. Sei froh, dass du lebst. Schau nach vorn". Wer sich mit Traumaforschung beschäftigt, weiß, dass der Appell "Vergiss es " an ein Kind gerichtet auch hervorragend funktioniert.

Dazu der Psychoanalytiker Hartmut Radebold

Die von der 2. an die 3. Generation "vererbte" psychische Erfahrungsgeschichte lässt sich zwar verleugnen, bagatellisieren und bewusst für nichtig erklären - auslöschen lassen sich die Spuren nicht.

Und wenn nun diese große Gruppe an Kriegskindern über so viele Jahre völlig ahnungslos über die Schwere der gemachten Erfahrungen, Prägungen, Verunsicherungen war, wie sollten dann deren Kinder, die Kriegsenkel auf die Idee kommen, dass sie ein kollektives, belastendes Erbe mit sich herumtragen?

Und nicht nur das. Für Eltern, die in die Kriegsjahre hineingeboren wurden, waren die Alltagsnöte ihrer Kinder Banalitäten. Welches Problem eines Kindes kommt gegen die Worte "Wir hatten nichts zu essen, wir haben gehungert" an? Wie oft traut sich ein Kind von Schulsorgen oder Hänseleien zu berichten, wenn es immer und immer wieder hört "Dir  geht es doch gut". So wie ihnen der emotionale Zugang zu sich selbst fehlte, so fehlte ihnen der emotionale Zugang zu ihren Kindern.

Dazu Altersforscher und Psychoanalytiker H. Radebold

Wahrscheinlich konnten diese Eltern nur wenig auf die psychischen Bedürfnisse ihrer Kinder eingehen und erwarteten, dass diese angesichts der eigenen bedrückenden Biografie mit ihren so "durchschnittlichen" Problemen und Konflikten in Kindheit und Pubertät selbstständig zurecht kamen.

Und was mir immer wieder auf Seminaren auffällt, ist die große Loyalität und Treue unserer Generation den Eltern gegenüber und die Schwierigkeiten, die damit für uns verbunden sind. Dieses Festhalten an der gefühlten Verantwortung für das Wohlergehen unserer Eltern, das einer tiefen Verunsicherung entspringt und uns zu ewig Suchenden macht, die sich schwer tun ihr Potential zu entwickeln und damit ihr eigenes Leben zu leben. Wir leiden an uns, da uns das Leiden jedoch abgesprochen wurde, leiden wir für unsere Eltern. Und nicht selten genug leben wir aus Solidarität das Leben unserer Eltern. Oder wir führen ein Leben für unsere Eltern. Ein Leben, das ihrem Bild entspricht. Selten leben wir uns. Wie kann man sich selber leben, wenn die eigene Identität schwammig geblieben ist?

Von klein auf hatten sie die Bedürftigeit der Erwachsenen gespürt und versucht, es ihnen "leicht" zu machen und sie zu trösten. Damit war das Fürsorge-Prinzip zwischen Eltern und ihren Kindern auf den Kopf gestellt worden. Wenn sie nun als Erwachsene ihre Eltern um jeden Preis schonen wollen, setzt sich diese ungesunde Fürsorge fort.

Das schreibt Sabine Bode über die Kriegsenkel, die sich schwer tun schlecht über Vater oder Mutter zu reden, denn im Gegensatz zu den Kriegskindern, denen der Krieg Schaden zugefügt hatte und die somit wesentlich ungehemmter über ihre Erfahrungen berichten konnten, waren es im Fall der Kriegsenkel die Eltern, die ihnen mehr unbewusst als bewusst schadeten. Und das zu erzählen kommt einem Verrat gleich. Und dieses Gefühl sitzt in den tiefsten Tiefen.

Jörg Eikmann hat auf der Fachtagung der SHG gesagt:

Kinder traut euch endlich euren Mund aufzumachen.

Und Sabine Bode, die den Mut hat dieses brandheiße Thema unserer Gesellschaft anzugehen:

Ich schreibe über Menschen, denen die eigenen Eltern unwillentlich Schaden zufügten, und - was die Folgen bis heute so schwer erträglich macht - deren Eltern keine eigene Beteiligung am Unglück ihres Kindes sehen, bzw. die überhaupt kein Unglück wahrnehmen.

Sie werden in diesem Buch nicht beschuldigt, denn als Traumatisierte konnten sie ihr Handeln nicht richtig einschätzen. Aber sie werden auch nicht geschont. Denn Schonung würde bedeuten, das Schweigen in die nächste Generation weiter zu tragen, wo es erneut Verwirrung und unerklärliche Symptome verursachen könnte.

Und in ihrem Vorwort schreibt sie über die Kriegsenkel:

In ihnen sehe ich Pionierinnen und Pioniere, die sich aufgemacht haben, die Spuren der deutschen Vergangenheit in ihrer Familiengeschichte und in ihrem eigenen Verhalten oder Vermeiden zu erforschen.

Die durch und durch konsumorientierte Generation Golf wird aus einer Notwendigkeit heraus zu einer Generation von Pionieren, die ihre Psyche und ihre Familiengeschichte erforscht.

Hat Florian Illies noch behauptet, dass die Generation Golf vom langweiligsten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, nämlich den achziger Jahren geprägt wurde, so tritt genau diese Generation in den Anfangsjahrzehnten des 21. Jahrhunderts eine spannende Reise in die Vergangenheit an, um die Zukunft zu verändern.

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Transgenerative Traumata

Blogbeitrag vom 13.02.2012 "transgenerationale Traumata - finanzielle Schuldenlast = alte Schuld?"

In Sabine Bodes Buch "Kriegsenkel - Die Erben der vergessenen Generation", gibt es ein Fallbeispiel, das mich zum Nachdenken brachte.

Beschrieben wird die Lebensgeschichte eines damals 50-jährigen Rechtsanwalts, der als Einzelkind behütet von Eltern erzogen wurde, die beide Flüchtlingskinder sind.

Mitte der neunziger Jahre erfüllte er sich seinen Lebenstraum, kaufte und sanierte einen fünfgeschossigen Altbau aus der Gründerzeit, verkaufte die sanierten Wohnungen und richtete sich vom Gewinn seine Traumwohnung, ein Dachgeschoss mit Terrasse, her.

Zitat aus dem Buch:

"Nach 18 Monaten war es soweit. Ich befand mich endlich in meiner Traumwohnung und hätte eigentlich nur glücklich sein müssen. Aber dem war nicht so."

Zunächst fühlte er sich nur unwohl und verunsichert, ohne zu wissen, warum. Ganz anders als früher fühlte er sich tief getroffen, wenn seine Freundin seinen Hang zu Luxus kritisierte. Eigentlich hätte es ihn nicht mehr erschüttern sollen. Er kannte das doch alles schon: Seit er sein eigenes Geld verdiente, hatten seine Eltern mit Kopfschütteln oder düsteren Ermahnungen auf seine angeblich völlig überflüssigen Anschaffungen reagiert, auf eine Stereoanlage zum Beispiel. Nun aber, in seiner Traumwohnung, quasi am Ziel seiner Wünsche, wurde Robert von Schuldgefühlen geplagt. Eine innere Stimme setzte ihm zu, eine Stimme, die nicht verstummen wollte: "Es geht dir zu gut! Du arbeitest nicht hart genug. Du willst mit 30 Wochenstunden ein schönes Leben führen. Und du willst mehrere Monate im Jahr in Urlaub fahren. Das leistest du dir alles und hast auch noch Erfolg. Du hast eine gute Beziehung und nun auch noch Eigentum. Das ist zuviel. Das steht dir nicht zu!"

Wer war diese Stimme? Sein Gewissen? Ein Neidhammel?

"Es geht dir zu gut! Das steht dir nicht zu!"

Die Vorwürfe seines inneren Konflikts hörten nicht auf. Es war wie eine absurde Belagerung, gegen die sein Verstand nichts auszurichten vermochte. In jener Zeit entwickelte Robert B. das, was er rückblickend eine "handfeste Macke" nennt. Sein Umgang mit Geld veränderte sich. Er, der zuvor beim Hauskauf und während der Sanierung umsichtig gewaltige Summen bewegt hatte und wie geplant als Gewinner hervorgegangen war, verlor den Überblick bei seinen alltäglichen Ausgaben.

Diese Situation hielt über Jahre an, er schöpfte seinen Dispokredit völlig aus und lebte ständig mit der Angst, dass die Bank ihm Daueraufträge stornieren oder Lastschriften zurückschicken könnte. Er litt unter Schlafstörungen. Etwas, das er nicht greifen konnte, drängte ihn dazu ständig über seine Verhältnisse zu leben. Auf seiner Suche nach den Gründen für sein absurdes Verhalten, erkannte er Folgendes: Freunde und Bekannte fragten ihn, warum ihn die Situation aufrege, das machen doch schließlich viele so - Schulden - da sei doch nichts dabei. Insgesamt wurde ihm plötzlich das Jammern und Leiden der Deutschen, die in einer der reichsten Industrienationen der Welt lebten, bewusst.

Robert B. wuchs mit einer Mutter auf, die ihm keine Geheimnisse gönnte, ihrerseits jedoch ein großes Geheimnis verbarg. Die Ehe seiner Eltern schien vordergründig gut zu sein, die Mutter nahm im Beisein ihres Mannes alles hin, hinter seinem Rücken jedoch sprach sie schlecht von ihm.

Bei einer Familienaufstellung kam heraus, dass er, der Sohn, als "Ersatzmann" seine Mutter glücklich machen sollte, weil der Vater es nicht fertig brachte.

Für Robert B. war das keine neue Erkenntnis, er wusste bereits um die Last, die er mit sich rumtrug und die seine Beziehung zu Frauen bestimmte. "Meine Vorstellung war: Ich muss meine Freundin um jeden Preis glücklich machen, ja, ich muss sie retten. Dabei wünschte ich mir nichts mehr als eine gleichberechtigte Partnerschaft, doch das kollidierte mit meinem Muster."

Nachdem von einer Teilnehmerin des Familienstellens erwähnt wurde, dass es wohl ein schlimmes Kriegserlebnis bei der Großmutter mütterlicherseits gäbe, sprach Robert B. seine Mutter an und sie erzählte ihm von der großen Familienkatastrophe:

Seine Großmutter und deren Mutter wurden von Rotarmisten vergewaltigt. Seine Mutter war damals 13 Jahre alt und blieb nur deswegen verschont, weil die Vergewaltiger ihr Versteck übersahen.

Bei ihm selber folgte nach Schock und Erschütterung die Erleichterung durch die Erkenntnis: "Die Männer der Familie hatten die Frauen nicht schützen können, nicht retten können. Also konnte meine Mutter Männern nicht mehr trauen. Vor dem Hintergrund der Vergewaltigung wäre kein Mann gut genug für sie gewesen. Kein Mann - auch ich als Sohn nicht - hätte sie retten können, weil sie mit diesem Trauma belastet war."

Robert B. hatte sich in zwei Beziehungen an Frauen gebunden, die in jüngeren Jahren vergewaltigt worden waren. Frauen, die er, gemäß dem alten Familienmuster, retten und von ihrem Schicksal erlösen wollte.

Bei einer Tagung in Tschechien erhielt er Hinweise auf die Herkunft seiner Mutter und was an dem Ort, in dem sie lebte, passiert war: ein Massaker in Aussig an der Elbe, ein Racheakt an den deutschen Besatzern, die Ausrottung der Dorfbevölkerung, deren Leichen die Elbe rot färbten.

Auf einer Urlaubsreise hatte er ein Erlebnis, das ihn das "verlorene Paradies" seines Großvaters nahebrachte.

"Er hatte sich mit Fleiß und Geschick zu einem erfolgreichen Unternehmer hochgearbeitet und in Böhmen einen Hof gekauft. Auch hier gelang ihm, was er anpackte. Die Landwirtschaft machte ihn zu einem wohlhabenden Mann, dem nichts wichtiger gewesen sei als das Wohlergehen seiner Frau, seiner Mutter und seiner Kinder. Dann der Krieg. Die rote Armee rückte näher. Es gab einen kurzen Zeitraum, da hätte er fliehen können. Aber er zögerte. Vielleicht hoffte er noch auf die Amerikaner. Auf jeden Fall hoffte er, seiner Familie ein Leben in tiefster Armut ersparen zu können. Es war der entscheidende Fehler seines Lebens. Nicht nur, dass er alles verlor, was er besaß - er wurde gezwungen anzusehen, wie seine Frau und seine Mutter von Sowjetsoldaten vergewaltigt wurden."

Robert B.: "Die Schuldgefühle müssen für meinen Großvater unüberwindbar gewesen sein. Er war ein gebrochener Mann - das ist mir plötzlich klar geworden. Dort am Meer war er mir fast körperlich nah, als säße er neben mir in der Hängematte. Er weinte. Wir weinten zusammen."

Der Enkel begriff, dass die hartnäckigen Schuldgefühle, die ihn selbst immer wieder befielen, von seinem Großvater stammten. In seiner Familie gibt es den Spruch:

"Wem es zu gut geht, den bestraft das Leben!"

Und ich frage mich: Auf wie viele unserer Generation, die sich für Eigenheim und Statussymbole bis über beide Ohren verschulden, gelten und wirken die alten Überzeugungen unserer Vorfahren? Was ist unser wahres Erbe?

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Du hast mich nie gesehen

Blogbeitrag vom 17.04.2012 "Du hast mich nie gesehen!"

Barbara Shers Worte in ihrem Video auf youtube "Create your new life" bewegen mich nicht nur zum Lachen, sie machen mich auch nachdenklich. Es geht um ihre Definition von Liebe.

Meine freie Übersetzung:

Weißt du was Liebe ist, was Liebe wirklich ist? Nicht dieses romantische Zeugs, das uns die Natur einredet. Zu lieben bedeutet in der Lage zu sein zu sehen, wirklich hinzusehen. Einen Menschen zu lieben bedeutet diese Person zu sehen. Nicht als jemanden, der dich glücklich machen könnte oder dir geben könnte, was du brauchst. Vielleicht ist es jemand, dem du nicht nahe sein kannst, vielleicht ist es jemand, der dir Schwierigkeiten macht und mit dem du nicht zusammen sein kannst, aber diese Menschen sind einzigartig und erstaunlich.

Ich habe in meinem Post "Verlassene Eltern" über das gesellschaftliche Dilemma geschrieben, dass immer mehr Kinder sich von ihren Eltern abwenden, sie nicht mehr sehen wollen und diese in Schmerz, Wut, Ohnmacht und Hilflosigkeit zurückbleiben. Mir begegnen häufig Leute in meinem Alter (Kriegsenkel), die sich "nicht gesehen" fühlen. Es scheint, als ob der Fokus unserer Eltern (Kriegskinder) unbewusst auf sie selbst gerichtet war. Vielleicht war das nötig, damit sie sich selbst halten konnten. Dafür stelle ich in meiner Generation eine gewisse Haltlosigkeit fest, eine große Angst vor dem Fallen lassen, die durch ausgeprägte Selbstkontrolle kompensiert wird. Fallen lassen auf vielen Ebenen, was bedeuten kann sich nicht in eine Beziehung fallen lassen zu können, aber auch in jedwede Herausforderung, die Verantwortung mit sich bringt. Diese Haltlosigkeit macht klein und verzagt. Fühle ich mich nicht gesehen, dann bekomme ich kein feedback, was mich selbst betrifft. Ich bekomme Erwartungen, Vorstellungen, Ansprüche, Forderungen, wie ich sein sollte. Ich bekomme ein Bild von dem, wie ich idealerweise zu sein hätte. Und das bringt mich weit weg von dem, was ich wirklich bin. Wer sich nicht gesehen fühlt, mag auch irgendwann nicht mehr auf den anderen schauen. Wer sich nicht gehalten fühlt durch eine Verbindung, die aus dem Herzen kommt, der braucht viel Kraft um sich selbst zu halten. Was bleibt sind Vorwürfe, die aus enttäuschten Erwartungen hervorgehen. Meistens beidseitig. Und Vorwürfe machen uns unfrei, sie halten uns in einem Status der Erwartung und Sehnsucht fest, der in der Regel unerfüllt bleibt. Wie kleine Kinder klammern wir uns an unserem Wunsch und der Wunscherfüllung fest. Wir alle haben genaue Vorstellungen von "idealen Eltern" und was sie tun und lassen müssten, um uns zu glücklichen Kindern zu machen. Und die Sehnsucht nach einer glücklichen Kindheit, dem Gesehen werden wie wir wirklich sind und dem bedingungslos Geliebt werden wie wir wirklich sind, kennt keine Altersgrenze. Wurde unser Bedürfnis nicht von unseren Eltern  gestillt, übertragen wir es auf den Partner. "Sieh mich, halte mich, lass mich nicht fallen, liebe mich, mach mich glücklich". Und das Rad von Erwartung und Enttäuschung dreht sich weiter.

Barbara Sher kommt auf ihre Definition von Liebe, nachdem sie sagte "Give your heart an exercise".

Ich stimme ihr zu. Um aus dem Dilemma von "nicht gesehen werden und nicht mehr sehen wollen" herauszukommen, könnten wir unser Herz darin üben zu sehen, wirklich hinzuschauen. Und das heißt hinter die Fassade zu blicken. Unsere Gesellschaft ist dem schönen Schein verfallen. Wollen wir wirklich lieben, dann gilt es sich nicht vom schönen Schein blenden zu lassen, sondern das zu sehen, was darunter liegt.

Das Schöne im Sein zu entdecken. Das zu sehen, was im Kern angelegt ist und nicht das, was die schöne oder weniger schöne Schale uns sehen lassen will. Unter die Oberfläche zu dringen und die Schönheit zu sehen, die in einem  jeden von uns angelegt ist. Das, was uns einzigartig und erstaunlich macht.

Können wir es in uns sehen, können wir es im anderen sehen.

Können wir es im anderen sehen, können wir es in uns sehen.

Es lohnt sich also in jedem Fall richtig hinzuschauen.

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Du sollst dein Kind ehren

Blogbeitrag vom 11.01.2013 "Du sollst dein Kind ehren"

Der Beitrag, der in meinem Blog am häufigsten aufgerufen wird, ist der über "Verlassene Eltern".

Vor einigen Wochen war ich in einem Forum, in dem eine Teilnehmerin einen Thread mit der Überschrift "Ich wünschte ich hätte andere Eltern gehabt" eröffnete. Ein anderer Teilnehmer reagierte mit einem Schrei der Entrüstung. Was auch immer man an Problemen mit den Eltern hat, so etwas dürfe man auf gar keinen Fall äußern. Warum aber nicht äußern, wenn dieser Wunsch da ist? Meine Erfahrung ist die, dass viele meiner Generation mit den eigenen Eltern hadern und das Eingeständnis eines solchen Wunsches bietet die Möglichkeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Warum wünsche oder wünschte ich mir andere Eltern? An was hat es gefehlt und wo war es vielleicht zu viel? Diese Fragen führen oft zu den noch immer aktiven Sehnsüchten in uns, die nicht erfüllt wurden. Wir alle möchten geliebt und akzeptiert werden. In einer Leistungsgesellschaft wird das oft durch das Erbringen einer Leistung erreicht, die in der Gesellschaft gerade hoch im Kurs steht. Da wir keiner Gesellschaft angehören, die spirituellen Wachstum honoriert, ist es der Abschluss eines BWL- oder Jurastudiums, da dieser Aussicht auf Karriere und Geld verspricht und ein hohes Einkommen bringt Ansehen. Dem Kind und den Eltern. Was aber, wenn ich nun einen der heißbegehrten Plätze für ein duales Studium einer großen Firma ergattert habe, meine Eltern damit sehr stolz mache, mich selber aber tief unglücklich? Weil ich lieber Hebamme geworden wäre? Oder Mönch?

Was wir uns wirklich wünschen ist, dass wir nicht geliebt werden für das, was wir tun, sondern für das, was wir sind. Wir möchten geliebt werden ohne verglichen zu werden, ohne dass ein Maßstab an uns angelegt wird, den wir erreichen sollen, ohne den Rahmen ausfüllen zu müssen, der uns angelegt wurde.

Und wer anderes kann das tun als die eigenen Eltern?

Kein Erzieher, kein Lehrer, kein Chef liebt uns für das, was wir sind, sondern für das, was wir tun. Sind wir engagiert und doch zurückhaltend, leistungsbereit und beherrscht, gepflegt, aufmerksam und respektvoll, erbringen wir gute Noten und erzielen wir materielle Gewinne, dann passt das.

Eltern aber, wenigstens die, sollten uns dafür lieben, wer wir sind. Wenigsten sie sollten uns lieben ohne Bedingungen zu stellen. Wenigstens sie sollten uns nicht über unsere Leistungen definieren, sondern über das, was wir in unserem tiefsten Inneren sind. Auch wenn wir das selbst nicht so genau wissen. Sie könnten es wissen und spüren. Schließlich sind sie unsere Eltern.

Hinter diesem Wunsch liegt ein tiefes, ungestilltes, kindliches Bedürfnis "Sieh mich, liebe mich, nimm mich wie ich bin".

In meinem Beitrag über die Schwierigkeiten meiner Generation mit den eigenen Eltern schrieb ich bereits über die tiefe Loyalität, die uns förmlich zerreißt, wenn wir unsere Elternprobleme angehen. Schauen wir genau hin, sind wir voller Vorwurf, voller Enttäuschung und doch immer voller Sehnsucht nach dieser bedingungslosen Liebe. Ich las einmal, dass Vorwürfe verdorbene Wünsche sind. Verdorbenes stinkt und es vergiftet, wenn wir es in uns lassen. Unerfüllte Wünsche können uns ein Leben lang begleiten und aktivieren immer wieder das enttäuschte Kind in uns. Es gilt sich dieses Kindes anzunehmen in der Form, wie wir es uns immer von unseren Eltern wünschten. Diesem Kind in uns den Raum für seine Wut zu geben, wo es einmal herausschreien kann, dass es sich andere Eltern wünscht. Das Gift herausfließen lassen. Es gilt sich selbst gegenüber loyal zu sein. Wir wurden mit der Regel erzogen "Du sollst Vater und Mutter ehren", für mich fehlt die Regel "Du sollst dein Kind ehren", denn Kinder, die die Erfahrung gemacht haben, was es heißt einem anderen seine Würde zu lassen, die aufmerksam und respektvoll behandelt wurden, die geachtet und geehrt wurden, haben gelernt das auch zu tun. Kinder hören nicht auf das, was man ihnen sagt, sie machen nach, was ihnen vorgemacht wird. Sie sind keine Theoretiker, sie sind Praktiker. Nicht das Wort, sondern die Tat zählt. Erziehung aus Worten ist reine Konditionierung, die anerlernt wurde, aber nicht erfahren. Sie ist reines Befolgen, oft aus Androhung vor Strafe. Dazu gehört auch Liebesentzug in Form von Schweigen, wenn das Kind nicht tut, was es tun soll. Misshandlung in Form von Strafe muss nicht immer körperlich sein, auch emotionaler Missbrauch hinterlässt Verletzungen. Körperlicher Strafvollzug ist direkt, emotionaler Strafvollzug subtil. Beides hinterlässt Wunden.

Um diese fehlende Erfahrung nachzuholen, müssen wir unserem inneren Kind genau das geben, was es vermisste. Nicht unsere Eltern sind dafür zuständig, sondern wir selbst. Und das heißt uns zu lieben ohne Bedingung. Wenn dieses Kind in seiner Enttäuschung toben will, lass es toben. Beschränke es nicht wieder in Art deiner Eltern, mit erhobenem Zeigefinger und den Worten "Das darfst du nicht, das schickt sich nicht, das ist sehr böse und es macht mich traurig", denn damit schickst du es wieder in die Einsamkeit. Sag ihm "Du darfst und du darfst alles und ich bin da und pass auf dich auf". Lass es toben, danach kehrt Ruhe ein. Der entladenen Wut folgen oft Tränen. Das ist ein gutes Zeichen.

Wer solch eine Bemerkung "Ich wünschte ich hätte andere Eltern gehabt" als Blasphemie an den Eltern hält, der übt Blasphemie an sich selbst aus. Der hat sich selbst noch nicht herausgeholt aus seiner Sehnsucht und seinen Wünschen und wird eine Beziehung eingehen, in der er vom Partner das erwartet, was die Eltern nicht geben konnten. In einer Weiterentwicklung vom frustrierten Kind zum frustrierten Erwachsenen soll der Partner dann den Revoluzzer lieben, der sich gegen alles stellt, den Frustrierten, der sich am Wochenende volllaufen lässt und frühmorgens betrunken nach Hause kommt, den einsamen Wolf, der seiner Sexsucht nachgehen muss, den Minderwertigen, der innerhalb kürzester Zeit aus jedem Job aussteigt, weil alle anderen böse sind, die Unausgeglichene, die alles persönlich nimmt und rumzickt, die Gelangweilte, die stundenlang rumzappt und sich jede noch so miese Soap und gefakte Talkshow ansieht um ihren Selbstwert zu heben, den ewig Sehnsüchtigen, der keine Beziehung halten kann, weil er dem Verliebheitskick hinterherrennt, die Verantwortungslose, die gewissenlos abtreibt, damit nichts ihrem Fun im Weg steht, den Bestätigungssüchtigen, der am härtesten von allen arbeitet und in jedem Büro das Licht ausmacht.

Diese Anteile sind in vielen von uns, egal ob Mann oder Frau und so lange sie in dieser Form in uns sind, sind wir nicht raus aus unserer Pubertät. Wer erwachsen werden will, muss das Kind in sich ehren. Ohne Bedingungen. Es gilt uns selbst zu überzeugen mit dem, was wir tun. Und das erreichen wir nicht, indem wir in Selbstmitleid und Vorwürfen verharren, sondern indem wir Verantwortung für unser eigenes Leben übernehmen. Indem wir uns Selbstbefriedigung angedeihen lassen, was nichts anderes heißt, als uns selbst zu befrieden. Kein anderer kann das tun außer jeder von uns für sich selbst. Denn wir sind die Gesellschaft, jeder einzelne von uns. Ich und auch du. Jetzt.

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Band ums Herz

Blogbeitrag vom 20. März 2013 "Band ums Herz"

In meinem Blog gibt es einige Beiträge zum Thema "Verlassene Eltern, verlassene Kinder".

Auch ich bin ein verlassenes Kind, das seine Mutter verlassen hat. Ich schreibe hier über diese Themen, da ich betroffen bin. Ich will verstehen.
Um eine klarere Sichtweise zu bekommen, musste ich mich distanzieren. Zu nahe am Projekt verschwimmen die Dinge. Die letzten Jahre widmete ich der Aufarbeitung meiner Gefühle, meiner Geschichte. Da ich erkannt habe, welches Ausmaß dieses Thema in unserer Gesellschaft angenommen hat, versuche ich heute über meinen eigenen Tellerrand hinaus zu verstehen. Lese in Foren, in Blogs, in Büchern und treffe Leute, die hin-und hergerissen sind zwischen der Entscheidung, loyal zu ihren Eltern zu stehen und sie weiterhin emotional in einer Scheinwelt zu halten, mit dem Risiko selber daran zu zerbrechen. Oder den Schritt zu wagen die Beziehung, die ihnen nicht gut tut, abzubrechen, um zu heilen.
Ich kann nicht behaupten, dass ich über meine eigene Geschichte vollends hinweg bin. Meine Arbeit an mir entfernt mich von der Sichtweise meiner Mutter auf das Leben. Das ist ein notwendiger Schritt, denn je mehr ich mich mit diesem Thema beschäftige, desto mehr sehe ich, dass einem Großteil meiner Generation (Kriegsenkel) ihre eigenen Gefühle abgesprochen wurden. Kindheit ist Kindheit und jedes Kind wird mit Dingen konfrontiert, mit denen es schlecht zurecht kommt. Kinder brauchen Erwachsene, die ihnen die Welt erklären und vor allem brauchen sie Erwachsene, die ihnen ein Gefühl von Sicherheit geben und sie trösten, wenn sie Kummer haben. Ich persönlich hatte keinen Kummer zu haben. Er wurde mir abgesprochen. Warum sollte ich Kummer haben, wo ich doch alles hatte, was meiner Mutter fehlte. Meine Mutter hat mit ihrem Leid den Kummer in solch einer Größenordnung gepachtet, dass für mich kein Fitzelchen von Kummerland übrig blieb. Ihr Reich trug Schilder "Privateigentum. Betreten verboten". Kummerland war für mich Tabuzone.

Mehr und mehr sehe ich, dass Eltern versucht sind, ihren Kindern das zu geben, was sie selbst vermissten. In meinem Fall war das Nahrung, ein Zuhause, Schule. Das bedeutete Sicherheit. Was außen vor blieb, war die emotionale Versorgung. Meine Eltern waren, im Sinne unserer Gesellschaft, gute Eltern. Ich wurde nicht regelmäßig körperlich misshandelt. Was mir fehlte war emotionale Zuwendung, die Wahrnehmung meiner kleinen Persönlichkeit und meiner "Problemchen", offene Gespräche, Zärtlichkeit und Trost, Geborgenheit, das Stehenlassen meiner Gefühle, ein emotionales Zuhause. Stattdessen wurde ich gefüttert mit den Problemen meiner Mutter, einem Flüchtlingskind und Kriegswaise. Meine Geschwister und ich wurden zu Ersatzpartnern, zu Freunden, zu Boten, zu Verbündeten, zu Verschworenen, zu Geheimnisträgern, zu Wunscherfüllern. Meine Erziehung war wohl Standard in dieser Generation - materiell versorgt, emotional verkümmert. In einer Fernsehdokumentation über "Verlassene Eltern" erzählte eine alleinerziehende Mutter, dass sie sich doch genau mit dem Sohn, der sie verließ, so gut verstanden hat, ihm alles erzählen konnte. Und sie nun nicht versteht, warum ausgerechnet er nicht mehr mit ihr sprechen will. Kinder alleine aufzuziehen war und ist kein Zuckerschlecken, aber solche Behauptungen decken das Dilemma bereits auf. Da gibt es Mütter, die sagen, dass die Tochter und sie Freundinnen waren, die sich alles erzählten. Manchmal frage ich mich, ob bei diesen Dokus, die emotionale Stimmung verbreiten, ein Psychologe drüberschaut.

Kinder sind keine Ersatzpartner. Eine Tochter kann keine Freundin und ein Sohn kein Freund sein. Eltern, die behaupten, sie hätten so eine Beziehung zu ihren Kindern, ziehen sich aus der Verantwortung. Eltern bleiben immer Eltern, die Beziehung kann eine freundschaftliche Form annehmen, sie kann aber keine Freundschaft sein.
In dem Moment, in dem Erwachsene Kinder mit ihren Problemen konfrontieren, holen sie sich etwas, was sie geben müssten - Aufmerksamkeit, Zuhören, Kümmern, Fürsorge, Trost, Verständnis. Kinder sind emotional weit offen, was Gefühlszustände anderer betrifft. Wenn sie Leid mitbekommen, wollen sie Leid lindern. Sie beginnen ihre Eltern emotional zu versorgen und es wird für beide irgendwann zur Selbstverständlichkeit.

Das ist nicht ihre Aufgabe.

Kinder sind nicht dazu da sich um die Probleme ihrer Eltern zu kümmern. Sie machen das, aus Liebe und aus einem Überlebensinstinkt, weil sie abhängig sind. Irgendwann erkennen sie, dass es sie überfordert. Spätestens dann, wenn ihr eigenes Leben Aufmerksamkeit braucht. Wenn das vehement wird, was mir und vielen anderen schlichtweg abgesprochen wurde - Probleme. Äußerlich haben wir Luxusprobleme, was innerlich abläuft sieht keiner, hört keiner, nimmt keiner wahr, bis wir auf der Nase liegen. Krankheit ist die Lösung, um nicht als Egoist abgestempelt zu werden, wenn wir das Bedürfnis verspüren, uns zurückzuziehen, uns rauszuziehen. Da uns Probleme abgesprochen wurden, nehmen wir sie oft selbst nicht wahr. Meine Grenzen wurden so oft überschritten, ich wurde zu oft zu Verhaltensweisen aufgefordert, gegen die sich mein ganzes Wesen sträubte, dass ich nicht mehr merkte, wann Dinge begannen mir nicht mehr gut zu tun. Mein Wohlbefinden stand nicht im Fokus. Ich konnte nicht "Nein" sagen, weil mir das aberzogen wurde. Von mir wurde erwartet, dass ich zur Verfügung stehe. Es fällt mir heute noch schwer "Nein" zu sagen und wenn ich es tu, kommt es oft abrupt. Dann reagiert meine Umgebung verständnislos "Was hat die denn? Die ist doch sonst nicht so". Midlifecrisis, meine Tage, Hormone allgemein, Zickigkeit, Egoismus - es gibt bestimmt eine passende Interpretation. Es fällt schwer Grenzen wahrzunehmen und aufzuzeigen. Und es ist immer verbunden mit der Frage "Darf ich das?" Nein, wir dürfen nicht. Laut all der Fernsehfilme, die über verlassene Eltern gezeigt werden, laut all der Artikel, die über sie erscheinen und der Bücher über das Leid, das wir mit unserer Grenzsetzung schaffen, eindeutig nein. Persönliche Grenzsetzung ist gesellschaftlich nicht akzeptiert. Die Eltern jammern laut und inzwischen öffentlich, keiner fragt nach den Kindern. Die Eltern fordern Wohlgefühl, die Kinder schweigen. Wie gehabt. Still  halten und ausbeuten lassen? Ist dann alles wieder gut?

Was heute oft noch nicht verstanden wird, ist die Tatsache, dass es nicht nur körperlichen Missbrauch gibt. Emotionaler Missbrauch wirkt subtil und tief. Er gräbt sich ein. Wenn ein Kind blaue Flecken hat, werden die Leute aufmerksam. Wer sieht die Verletzungen einer kindlichen Seele, die als Erwachsenen-Problemmüllhalde benutzt wurde. Seelische Verletzungen sind nicht offensichtlich. Sie bleiben unerkannt und äußern sich in Symptomen. Nach außen ist alles gut und wunderbar und plötzlich spinnt das "Kind", das nun gereift ist. Ganz plötzlich will es nicht mehr zuhören, nicht mehr verstehen, nicht mehr trösten, nicht mehr da sein, keine Erwartungen mehr erfüllen. Nicht mehr zur Verfügung stehen. Äußere Verletzungen durch körperliche Gewalt können untersucht und eingeordnet werden. Es gibt einen Verursacher. Seelische nicht. Sie unterliegen der Wahrnehmung der betreffenden Person und die ist subjektiv. Verursacher reden sich raus, verleugnen, rechtfertigen. Wann ist eine seelische Verletzung noch eine Ohrfeige und wann eine traumatische Erfahrung? Es ist schwer die eigenen Gefühle zu fassen, wenn man kein Vertrauen in sie entwickeln konnte, weil sie nicht stehen gelassen wurden.
Wie kann man den eigenen Gefühlen vertrauen, wenn einem vermittelt wurde, dass sie nicht richtig sind? Warum fühle ich mich schlecht, wenn doch jeder meint, es müsse mir gut gehen? Das kann nur an mir liegen.

Ich bin nicht richtig.

Das ist eine weit verbreitete Überzeugung, die in die emotionale Desorientierung führt. Weil es schwer möglich ist das Gefühlschaos in Worte zu bringen und die Gefühle der Kinder gewohnheitsgemäß nicht wahrgenommen, nicht gehört oder bagatellisiert werden, bleibt oft nur die Möglichkeit sich radikal zu entziehen.
Sich den Eltern zu entziehen, die uns zu Wesen geformt haben, die ihnen gut tun, die sich um ihr Wohlergehen kümmern, die ihren Ansprüchen gerecht werden. Eltern, die uns die Rolle der Fürsorger, der Mutter, des Vaters, der Geschwister, der Familie, des Partners gegeben haben. Schwere Last.
Wer kann diesem Anspruch gerecht werden?
Ich kann hier nicht für alle sprechen. Ich spreche für mich und diejenigen, denen es ähnlich erging. Es gibt auch Kinder, die materiell so überversorgt wurden, dass ihnen mit all der Materie ein großes Schuldgefühl übergeben wurde. "Du hast doch alles von uns bekommen. Wir haben dir jeden Wunsch von den Augen abgelesen und uns nicht geschont. Für nichts waren wir uns zu schade. Wir haben all das doch nur für dich getan. Damit es dir gut geht." Dahinter steckt eine eindeutige Erwartungshaltung, die erdrückt und die Luft zum Atmen nimmt. Da haben Eltern einen Berg an Opfergaben aufgetürmt, der dem Kind den Blick auf die Zukunft nimmt.
Wer kann so einen Berg jemals abtragen?
Du bist etwas schuldig. Emotional, materiell oder karrieremäßig. Wir Kinder stehen in irgendeiner Schuld, die mit Erwartungen gespickt ist. Was haben sie nicht alles für uns geopfert. Wie viel und wie schwer haben sie für uns gearbeitet, auf was haben sie verzichtet. Schuld und Opfer. Das sind die Gegenleistungen, die erwartet werden. Der Kredit möchte zurückgezahlt werden, die Investitionen sollen sich lohnen. Welches Kind hat verlangt, was ihm gegeben wurde? Welches Kind verlangt, dass sich Eltern aufopfern? Die Eltern ernten, was sie an Saat gesetzt haben. Oft sind sie sich ihrer Saat nicht bewusst. Deswegen ist Verurteilung nicht angebracht.        
Gerechtigkeitshalber muss ich zugeben, dass auch meine Generation es oft nicht besser macht. Es fehlt das Bewusstsein. So lange wir uns als Opfer des Verhaltens unserer Eltern fühlen, machen wir uns zum Täter an unseren Kindern. Da wir aus unserer Opferhaltung heraus dasselbe von unseren Kindern erwarten, was bereits von uns gefordert wurde. Verständnis, Aufmerksamkeit, Zuwendung, Loyalität, Dankbarkeit, Erfüllung von Erwartungen und Ansprüchen, das Erfüllen einer Rolle in Perfektion. Wir geben es weiter. Manchmal durchschauen wir es und laufen doch in denselben Mustern, da der Verstand alleine uns die Muster nicht sprengen lässt. Deswegen gibt es Eltern zwischen 50 und 80, die verlassen werden. Wir wiederholen die Geschichte. Manchmal in einer abgeänderten Version, das Ende bleibt gleich. Nicht selten gibt es Kinder, die verlassen haben und von ihren Kindern verlassen werden. Wir fordern und fördern unsere Kinder in Schule und Freizeit, wir legen ihnen ein Programm auf, das all ihre Talente zur Wirkung bringen soll. Ein Programm, das sie kaum zum Atmen kommen lässt. Und wir heben unseren Selbstwert, wenn wir stolz davon erzählen, was sie alles tun und was sie alles können. Kommt dieses Verhalten von Herzen? Was ist der wahre Antrieb, wenn wir sie lehren zu funktionieren? Kann es sein, dass wir uns von unseren Ängsten leiten lassen? Hatte ich ab zwanzig wiederkehrende Phasen emotionaler Erschöpfung, so treffe ich heute junge Menschen, die bereits während der Schulzeit oder des Studiums ihren ersten Zusammenbruch haben und sich mit Psychopharmaka oder leistungssteigernden Mitteln über die Runden helfen lassen. Überhand nehmen massive Essstörungen und Verhaltensauffälligkeiten. Burnout, Magersucht, Bulimie, ADHS. Wurde ich noch als anstrengendes Kind bezeichnet, weil ich mir ab und an erlaubte zu rebellieren, so ist heute zwar Anstrengung hoch anerkannt, aber "anstrengend sein" nicht mehr erlaubt. Und das Kind bekommt einen anderen Namen. Am besten einen, für den es eine wirksame Pille gibt. Ist das der Sinn der Sache? Geben wir unseren Kindern wirklich oder nehmen wir ihnen etwas? Kann es sein, dass auch wir sie ausbeuten? Materiell überversorgt, mental und emotional ausgebrannt und ausgehungert. Ist es das, was wir wirklich für sie wollen? Wovor verschließen wir die Augen?


Gestern schaute ich mir die ersten zwei Ausstrahlungen von "Unsere Mütter, unsere Väter" an. Der Film basiert auf den Lebensgeschichten von fünf jungen Menschen, die den 2. Weltkrieg erlebten. Einer der Überlebenden sagte "Der Krieg verändert. So grausam wie der Krieg war, so grausam wurdest du selbst. Am Schluss stiegen wir über Leichen ohne hinzuschauen. Wie man das schafft? Du machst ein Band um dein Herz."
Es gibt Herzen, die wurden zugebunden, es gibt welche, die verhärteten. Manche sind versteinert. Viele blieben verschlossen und wurden nicht mehr weich und warm.
Das war es, was ich als Kind spürte. Was auch immer ich tat, das Herz meiner Mutter blieb für mich unerreichbar. Es war eingemauert in einem Turm mitten in Kummerland. Ich wollte dort hin, was auch immer ich unternahm um es zu erreichen, es gab zu viele Stacheldrahtzäune und Tretminen, die mich daran hinderten zu ihm zu kommen. Das ließ mich verletzt, verzweifelt, einsam und leer zurück. Es wurde nie darüber gesprochen, keiner hat etwas gemerkt, ich hatte gute Eltern und war ein gutes, manchmal aufsässiges Kind. Ich trug keine äußeren Wunden, war materiell versorgt und alles war wunderbar. Keiner kann in einen anderen hineinschauen. Am wenigsten können Eltern in ihre Kinder schauen. Wer erkennt den Zeitpunkt der Kapitulation?
Um diesen aussichtslosen Kampf zu beenden und mich nicht noch weiter von mir selbst zu entfernen, um mich selber wieder zu spüren und nicht komplett zu versteinern, um meine innere verwüstete Landschaft wieder fruchtbar zu machen, um mein angefrorenes Herz wieder zu wärmen und zu öffnen, musste ich aus der Welt meiner Mutter gehen. Ich ließ Kummerland hinter mir und begann mich selber einzusammeln. All das, was die Jahre über von mir auf der Strecke geblieben ist. Es war kein einfacher Schritt, es tat mir weh ihr den Rücken zuzudrehen. Aber es war (überlebens)notwendig für mich. Noch heute sammle ich die Puzzlestücke meiner selbst, um aus meiner gefühlten Zersplitterung wieder eine Einheit herzustellen. Heute kann ich zugeben, wie sehr mich die Erlebnisse meiner Kindheit, das erkaltete Herz meiner Mutter, ihr Leid mich brachen.

Ich vermisse meine Mutter. Nicht die, die ich hatte, sondern die, die sie hätte sein können. Ohne Band. Wir sollten uns bemühen, die Bänder um unsere Herzen zu sprengen. Die Kinder und die Eltern. Das ist kein Aufruf zu Friede-Freude-Heile-Welt, manche Verletzungen heilen schlecht, manche hinterlassen tiefe Narben, wir könnten es für die tun, die nach uns kommen. Für unsere Kinder und Enkelkinder. Auch emotionales Erbe ist etwas, das wir weitergeben. Wir alle sind beteiligt an der Welt, in der sie leben. Wir sind die Gesellschaft, die ihre Lebensbedingungen schafft. Wie unsere Eltern und Großeltern können wir mitlaufen und uns rausreden. Oder verändern.

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Brief einer Mutter an ihren Sohn

Blogbeitrag vom 5. Mai 2014 "Brief einer Mutter an ihren Sohn"


Lieber Sohn,

heute Morgen wurde mir klar, warum T. und seine Geschichte in meinem Leben sind. Es geht um Verrat. Verrat spielte eine große Rolle in meinem Leben. Ich wurde verraten und ich habe verraten. Deswegen kann ich Verrat erkennen. Andere würden Begebenheiten anders benennen, aber ich spüre das Gefühl, das mit Verrat einhergeht. Eine tiefe Gekränktheit, hervorgerufen durch einen Angriff auf die Integrität und die Würde eines Menschen.

Und mir wurde klar, dass der Verrat genau so gesehen werden möchte wie alle anderen Dinge auch. Wir versuchen das, was wir an Unheil angerichtet haben zu vertuschen, schön zu reden, zu verneinen, zu rechtfertigen. Das würden wir mit Dingen, die heilsam sind, nicht tun. Die Stärken werden beachtet, die Schwächen nicht.

Und deswegen möchte ich meinen Verrat an dir ansehen.
Das kann ich tun, da mein Gefühl zu dieser Zeit ähnlich dem deinigen war. Ich habe mich verraten gefühlt.
Was meine Aktion für dich bedeutet hat, kannst nur du abschätzen. Ich kann sagen, was damals  bei mir passiert ist. Du hast dich mir entzogen und ich habe den Zugang zu dir verloren. Das ist legitim und sogar notwendig für ein Kind, das in die Pubertät kommt. Obwohl ich es weiß, konnte ich nur schwer damit umgehen. Theorie und Praxis klaffen manchmal weit auseinander. Es fiel mir schwer dich frei zu setzen. Emotional frei zu setzen.
Ich war unfähig die Veränderung, die in und mit dir vorging, anzunehmen und habe dein Verhalten als Angriff gesehen. Manchmal hast du mir Einblicke in deine tiefe Seele gegeben, das hat mich erschüttert. Ich wollte nicht, dass du es schwer hast. Ich habe alles versucht zu tun, damit ihr es leicht habt. Zu sehen, dass ich als Mutter keinerlei Kontrolle darüber habe, ob du es dir leicht oder schwer machst, ob unter deinem scheinbar sonnigen Gemüt dunkle Schatten liegen, ob du eine Aufgabe gewählt hast, die für mich unerträglich ist, das hat mich verzweifelt fühlen lassen. Das alles steht nicht in meiner Macht. Was kann ich als Mutter ausrichten?
Ich wollte das alles so nicht und bin in die Ablehnung gegangen. So war das nicht gedacht, ich habe mich verraten gefühlt. Vom Leben verraten gefühlt, das mir einen Sohn geschenkt hat, der vielleicht einen schweren Weg gewählt hat. Ich bin doch nicht diesen schweren Weg gegangen, damit eines meiner Kinder es auch tut. Es soll besser und leichter werden. Keine Kontrolle darüber zu haben, das war schwer für mich zu akzeptieren.

Mein Verrat an dir bestand für mich darin, dass ich dir immer gesagt habe, dass ich dich so liebe wie du bist – egal, was du tust (außer jemanden umbringen, so habe ich das damals gesagt) und dann habe ich angefangen dich abzulehnen, weil sich etwas ganz anderes gezeigt hat, weil du schwierig für mich geworden bist und ich nicht damit umgehen konnte. Ich habe mich angegriffen gefühlt und habe dich in deiner Würde und in deinem Vertrauen angegriffen. Bedingungslose Liebe ist ein Ziel. Ich würde gerne so lieben.

Es tut mir von ganzem Herzen Leid, Sohn, dass ich dir in dieser schwierigen Zeit nicht das Gefühl geben konnte, dass ich dich liebe wie du bist, obwohl ich es dir immer versprochen habe. Ich habe mein Versprechen dir gegenüber gebrochen.

Heute, aus ein wenig Distanz heraus, kann ich dich besser sehen. Manches tut mir weh. Es sind die Dinge, die ich gelernt habe an mir selbst abzulehnen, weil es in dieser Welt nicht üblich ist den schweren Weg zu schätzen. Wenn ich es geschafft habe für mich selbst zu akzeptieren und mit Wohlwollen zu betrachten, dass ich einen schwereren Weg gewählt habe und das gut so ist, dann werde ich auch dich voll und ganz akzeptieren können.

Ich respektiere dich in dem, was du tust. Ich sehe, dass du es dir nicht leicht machst. Ich finde das ist ein guter Weg. Heute – Jetzt – kann ich das so sehen. Danke.

Durch dich kann ich sehen und verstehen, dass meine Mutter sich ähnlich enttäuscht, gekränkt und verraten gefühlt hat wie ich. Das Leben hat ihr nicht die Tochter geschenkt, die sie wollte. Ihre Erziehung hat mich nicht zu dem Wesen gemacht, das ihr gut tut. Sie hat das nicht dem Leben zugeschrieben, sondern mir. Und vielleicht kann sie die Chance nicht sehen, die in den Kindern liegt, die uns so ähnlich sind. Vielleicht habe auch ich eine Zeit lang so gedacht. Die Dinge schließen sich immer zum Kreis, bis wir es schaffen auszutreten. Das Leben hat mir den Sohn geschenkt, den ich brauche. Denn du lässt mich verstehen. Du bringst mir Frieden.
Das Leben meint es immer gut mit uns.

Deine Mutter

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Brief einer Tochter an ihre Mutter

Blogbeitrag vom 6. Oktober 2014 "Brief einer Tochter an ihre Mutter"


Liebe Mutter,

7 Jahre ist es nun her. Damals hatten wir telefoniert und ich habe Dir gesagt, dass Du Deine Sachen so machen sollst, wie Du es für richtig hältst – und dass ich meine Sachen so machen werde, wie ich es für richtig halte. Seitdem ist viel Zeit vergangen, viele Erfahrungen hat jeder von uns gemacht, die Kinder sind größer und älter geworden, jeder hat sich auf seine Art und Weise entwickelt. 

Ich bin dankbar, dass Du mich geboren hast. Durch Dich (und Papa) bin ich auf der Welt und darf sein. Vielen Dank für die guten Dinge, die Du mir gegeben und mitgegeben hast. Auch wenn ich – wie ich heute weiß – lange eine andere, vielleicht zu große Erwartungshaltung an Dich hatte, mir etwas anderes von Dir gewünscht habe, soll es nun gut sein. Du hast Dich so entwickelt, weil das Leben Dich so geprägt hat. Kein Vater, der Tod Deiner Mutter, Vertreibung und Flucht, die Trennung von Großmutter und Bruder, Aufwachsen in Pflegefamilien. Wurzellos, aber mit starkem Willen, der es uns unter anderem ermöglichte von N. nach E. zu ziehen. Und damit in einer Umgebung aufzuwachsen, die es mir ermöglichte mich zu dem Menschen zu entwickeln, der ich heute bin.

Du konntest mir oft nicht das geben, was ich gerne gehabt hätte. Und ich konnte Dir auch nicht das geben, was Du Dir von einer Tochter gewünscht hast. Jede von uns beiden hat ihren ganz eigenen Blick auf die Dinge. Das werden wir nicht mehr ausräumen, das können wir nur annehmen und stehen lassen. So wie wir uns gegenseitig nur stehen lassen und respektieren können. Auch wenn wir nicht alles gut heißen und nicht immer alles verstehen. Du bist meine Mutter, ich bin Deine Tochter. 

Natürlich wünschte ich mir eine vertrauensvolle Beziehung, bedingungslose Akzeptanz, das Aufgehobensein in einer harmonischen Familie. Das konnte unsere Familie nicht leisten. Dazu waren die „Päckchen“, die jeder – Du als auch Papa – tragen musste zu groß. Jeder konnte nur sich selber versuchen zu halten. Aber ich denke, Du bist Deinen Weg ganz gut gegangen und ich meinen auch.

Ich wünsche Dir einen schönen Geburtstag und eine schöne Feier. Und ich wünsche mir für uns beide und für die Menschen, die uns am Herzen liegen, dass wir einander in Zukunft ohne Vorbehalte begegnen können.

Deine Tochter

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Brief an eine Schriftstellerin

Blogbeitrag vom 8. Juli 2020 "Brief an eine Schriftstellerin"


Liebste Frau S.,

mein Name ist Ingrid R., ich bin Jahrgang 1963 und habe eine Mutter Jahrgang 1939. Sie ist, wie Sie, (noch) 80 Jahre alt. Wie Sie musste meine Mutter aus ihrer Heimat fliehen. Sie wurde in Krumau, heutiges Český Krumlov/Tschechien und Weltkulturerbe, geboren.

Und doch gibt es große Unterschiede zwischen ihnen beiden. Sie hatten eine Mutter, an der Sie sich orientieren konnten. Meine Großmutter hat Selbstmord begangen. Sie hat das gemacht, was Ihre Mutter verweigert hat. Sie hat sich vergiftet. Ihre beiden Kinder, meine Mutter und den Sohn, hat sie zu ihrer Schwester geschickt. Ihren Vater hat meine Mutter nicht kennengelernt. Er verstarb bei einem Marsch, als sie noch im Bauch ihrer Mutter war. Sie war noch keine 5 Jahre alt und, im wahrsten Sinne des Wortes, bereits mutterseelenallein. Mit der Großmutter sind sie nach Österreich geflohen. Nachdem meine Urgroßmutter keine Lebensmittelmarken mehr erhielt, musste sie die beiden Enkelkinder zur Adoption freigeben. So verlor meine Mutter auch noch das, was ihr nach Eltern- und Heimatverlust, geblieben war: Bruder und Großmutter.

Meine Mutter erzählte nie viel aus dieser Zeit. Wahrscheinlich konnte sie nur überleben, indem sie verdrängte, denn ihr weiteres Leben war auch kein Zuckerschlecken. Es war geprägt von Missbrauch. Sie hatte keine realen Menschen, an denen sie sich orientieren konnte. Sie hatte Ideale. Meine Mutterbeziehung ist, wie Ihre, eine angespannte. Ich liebe meine Mutter. Aber es geht mir ohne sie besser als mit ihr. Was auch immer ich tu, es ist nie genug. Meine Mutter ist ein Fass ohne Boden. Irgendwann wurde mir klar, dass sie auf der Suche nach Mutter und Vater ist. Diese Personen sind aber durch niemanden ersetzbar. Kein Mensch auf der Welt kann die kindlichen Bedürfnisse eines Erwachsenen befriedigen. Dieses schwarze Loch, wenn die Eltern fehlten, kann keiner füllen.

Und so mache ich das, was Sie machen. Friedensarbeit. Ich bin keine Schriftstellerin wie Sie. Ihr Artikel „Vo(r)m Aufstehen“ hat mir sehr gefallen. Ich schreibe ein Blog, ein elektronisches Tagebuch. Das Schreiben hilft mir mich selbst zu fassen, da ich mich als einen immens desorientierten Menschen sehe. Mir hat meine Großmutter genauso gefehlt wie meiner Mutter. Ich habe einfach keine Ahnung wie das Leben geht, wurde aber mit einem hyperaktiven, analytischen Geist ausgestattet, der verstehen will. Ein großes Thema unserer Gesellschaft sind Kinder, die den Kontakt zu ihren Eltern abbrechen (man kann sie trotzdem ehren). Diese Kinder sind in Ihrem Alter und in meinem, aber auch in dem meiner Kinder. Es setzt sich fort. Der Grund ist Sprachlosigkeit, Unfähigkeit oder Unwillen zur Reflexion, Traumata, die weitergegeben werden, körperlicher und/oder emotionaler Missbrauch, der verleugnet, verdrängt wird. Beiträge zum Thema sammle ich auf einer Homepage. Ich mache das alles für mich, ich beschreibe meinen Prozess, vollführe Seelenstriptease um mich zu erleichtern. Ich hatte große Angst das alles zu veröffentlichen, bekomme aber viel dankbares Feedback, das mich erkennen lässt, dass die Worte einer Desorientierten anderen zur Orientierung verhelfen. Was für ein Paradoxon!

Es hat mir sehr gut getan zu lesen, wie Sie mit Ihren Erinnerungen umgehen. Ihre Beschreibung fühlt sich so warm und herzlich an. Ich wünsche mir, dass auch ich eines Tages an diesen Punkt komme und sagen kann „Alles gut“. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihren Text und gratuliere Ihnen zum Ingeborg-Bachmann-Preis.


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Leserbrief eines verlassenen Vaters

Anfang 2012 startete ich mein Blog. Das Thema "Verlassene Eltern" taucht zu dieser Zeit gehäuft in den Medien auf. In unserer Zeitungsbeilage für Senioren, genannt "sechsundsechzig", erscheint ein Bericht über eine Mutter, deren Kind den Kontakt abgebrochen hat. Die Mutter wird als aufopferungsvolles Wesen geschildert, das den pflegebedürftigen Mann und den Sohn versorgt hat, vom undankbaren Kind verlassen wird und die Welt nicht mehr versteht. Der Sohn wird nicht befragt, dafür wird ihm Egoismus als Motivation unterstellt. Das Thema wird 2 Jahre später, etwas abgeändert, in der Beilage erneut aufgewärmt. Sogar das Foto im Artikel ist dasselbe. Was auch gleich bleibt, ist die fehlende Ursachenforschung und Antwortfindung zur Frage, was so viele Kinder dazu treibt den Kontakt zu ihren Eltern abzubrechen. Als ob sich in 2 Jahren zu diesem Thema nichts verändert hätte und als ob es keine neuen Erkenntnisse gäbe.
In meiner eigenen Familie sagte man mir vor einigen Tagen "Mit 75 ist es zu spät. Da ändert sich keiner mehr. Da ist nichts mehr zu machen".
Dass dies nicht der Wahrheit entspricht, zeigt mir eine E-Mail, die mich im Oktober 2014 erreicht. Diese Nachricht freut mich ganz besonders, ist sie doch die erste, die mir von einem "verlassenen Vater" geschrieben wird. Dass er mir seine Geschichte schreibt, erfüllt mich mit allergrößter Hochachtung.
Zum Thema "Verlassene Eltern" wird stark polarisiert. Sowohl die Eltern wie auch die Kinder versinken im Selbstmitleid. Die einen, weil sie das Gefühl haben, dass die Kinder sie schlecht behandeln, die anderen, weil sie denken, dass sie von ihren Eltern schlecht behandelt wurden. Die ältere Generation ist sich oft keiner Beteiligung am Zustand ihrer Kinder bewusst und die jüngere übt sich gerne in Selbstgerechtigkeit.
Die Fähigkeit zur Reflexion und Erkenntnis hat aber keine Altersgrenze und es geht immer was. Dazu braucht es den Willen vom eigenen Leid abzurücken und verstehen zu wollen.
Ich danke Herrn H.H. für das Einverständnis zur Veröffentlichung seines Schreibens:


Hallo, Gedankenstreunerin!

Nachdem ich das meiste über die Kriegsgeborenen-Generation hier in Ihrem Blog gelesen habe - kann ich nur sagen:
sehr gute Arbeit zum Thema der "verlassenen Eltern" - ich gehöre auch dazu.

Mein 17 Jahre lang von mir alleinerzogener Sohn (heute 44 Jahre alt) bezeichnet sich als Beziehungsschlampe und meldet sich, wenns hoch kommt, einmal im Jahr per Mail oder Telefon seit 2006 bei mir (heute 74 Jahre alt).

  • Während meiner kurierten Krebserkrankung zeigte er keine erkennbare Anteilnahme oder ein Interesse an mir.
  • Als er geheiratet hat, habe ich während der Hochzeit erfahren, dass er meinen Nachnamen abgelegt hatte und wie seine Frau heißen wollte.


Das hat mich schon sehr getroffen. Inzwischen habe ich das "verstanden" als einen Befreiungsversuch aus dem Stallgeruch meiner Generation, die soviel nicht sehen und spüren will und dieses Verhalten oft in Abwägung der eigenen auferlegten Zumutungen gegen begegnendes kindliches Verlangen und kindgemäße Wünsche gesetzt haben. Vielleicht hat er seine nichtgezeugten Kinder damit nicht wieder belasten wollen?

Diese systemisch/psychologischen Ideen von Frau Bode (noch nicht gelesen) haben mir einen Weg gewiesen aus meiner lähmenden internen Vorwurfshaltung, mit was ich das Verhalten meines Sohnes verdient haben könnte.

Als Bruder eines durch Euthanasie bedrohten geistig behinderten Bruders habe ich das Entsetzen, die Schuldgefühle und die Ängste meiner Eltern mittragen und teilen müssen, bis endlich 1946 die Gefahr gebannt war. Später als Betreuer meines Bruders war ich dann schon froh, als er nach einem fast 5-jährigen Sterbeprozess mit 64 Jahren nach einem Leben bei den Antroposophen endlich sich und mich erlöste.

Durch häufige Landeswechsel meiner Eltern hatte ich einen sehr beschwerlichen Bildungsweg vor mir und heute bin ich damit versöhnt - aber als sich meine drei Kinder unter erschwerten Bedingungen von Scheidungskindern mit ähnlichen Problemen herumschlugen, fand ich das fast normal und forderte eben mehr Anstrengung....die darin liegende Strenge und wahrscheinlich auch Einfühlungsblockade haben Spuren hinterlassen.

Erst im Alter verspüre ich etwas von der Härte meiner Generation in der Art, wie sie das Alltagsleben für die nachfolgende Generation belastet mit gedanklicher Leere, Entwertung der Beziehungen, Verdunklung der Zukunftsaussichten, Verschweigen der eigenen Gefühle und der eigenen Vergangenheit und dem versteckten Selbstmitleid...
Ich arbeite daran, eine "Rückführung" war ein erster erfolgreicher Schritt innerer Aufklärung, die "Bode-Gedanken" sind ein weiterter Schritt in dieser Richtung des Verstehens der inneren Zusammenhänge zwischen den Generationen speziell in Deutschland!

Besten Dank und Dank für Ihre konstruktive Wirkung!

    H.H.

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Leserbrief einer verlassen(d)en Tochter I

Veröffentlichung mit Einverständnis meiner Leserin in meinem Blog unter "Leserbrief einer verlassen(d)en Tochter I", 20. Januar 2020


Hoch geschätzte Person hinter Leben-Zuhören,

ich bin heute auf Ihre Seiten im Internet gestoßen... Jetzt sitze ich hier, lese einen Beitrag nach dem Anderen, fühle mich zutiefst verstanden und weine. Das tut gerade gut!
Ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre Ausführungen und dafür, dass sie diese anderen zur Verfügung stellen! Ich bin sicher, es ist für viele Menschen eine sehr große Hilfe im - zeitweise schmerzhaften und anstrengenden - Prozess des Sich-mit-dem-Familientrauma-beschäftigens!
 
Ich fühle mich bewegt: durch Ihre Worte, Beschreibungen, Tipps und Anregungen. Zuerst aber einmal durch das beschriebene Schicksal, das mir so bekannt und vertraut vorkommt.
 
Es kreist in mir seit vielen Monaten der Gedanke, wie ich mit dem letztmaligen Abbruch der Beziehung zu meiner Mutter (ab April 2019) dauerhaft meinen Frieden machen und mich damit aufrichtig gut und frei fühlen kann. Ich fühle kein Unrecht, ich fühle mich erleichtert im Laufe des schon lange währenden Prozesses, aber es schmerzt immer wieder.
Ich habe das Gefühl, es fühlt sich für mich insoweit noch nicht abgeschlossen an, wenn ich z.B. an das Thema "Am Sterbebett..." denke.
 
Ich bin Jg. 1967, meine Mutter ist Jg. 1945. Meine Mutter ist das von Ihnen benannte Kriegskind, mit ihrer Mutter und dem neugeborenen Bruder (der mit drei Jahren unter traumatischen Umständen verstarb) in den letzten Kriegstagen aus dem Osten geflohen. Ich bin das älteste Kind, habe noch einen ein Jahr jüngeren Bruder und einen mehr als 10 Jahre später Geborenen. Unser Vater verstarb im Jahre 2003.

Ich bin mit 19 Jahren von zu Hause ausgezogen und habe seitdem mein Leben unabhängig von meinen Eltern gemeistert, jedoch meist einen mehr oder weniger engen Kontakt zur Familie gehalten.
Ich habe keine eigenen Kinder, jedoch aus meiner zweiten Ehe angeheiratete (20 und 16 J.). Mit diesen besteht ein guter Kontakt. Es wird viel gesprochen, erklärt, argumentiert zu allen wichtigen Themen des Zusammenlebens. Wir sehen uns gerne und lieben generell Familientreffen mit den Menschen, die uns respektieren und lieben!
 
Der Kontakt zu meiner Mutter ist seit Jahrzehnten brüchig, hat immer mal wieder eine zeitlang geruht und ist seit April 2019 - dieses Mal voraussichtlich endgültig - eingestellt. Ihr fehlt jegliche Akzeptanz für das Sein ihrer Kinder, jeder Respekt und Wohlwollen für uns und unser eigenständiges Leben. Sie selber akzeptiert keinerlei Kritik an sich durch ihre Kinder (vor allem durch mich als ihre einzige Tochter!); diese weist sie als unzumutbar und unzulässig zurück.
Und sie intrigiert und manipuliert nach Kräften ständig zwischen den Kindern (und teils deren Anhängen), um stets einen Aufhänger für ihre Empörung über die fehlende Harmonie in der Familie zu haben.
 
Einige der Hauptprobleme, die es in meiner Ursprungsfamilie fortwährend gab:
 
1. in unserer Familie wurde über nichts gesprochen, Probleme blieben unberedet, Diskussionen gab es nicht (auch nicht zwischen unseren Eltern).
 
2. Kinder galten in unserer Familie immer als untergeordnetes "Eigentum" der Eltern, ohne eigene Rechte und Pflichten als gleichwertige Personen einer Familie. Familienoberhaupt war der Vater.
 
3. insbesondere meine Mutter hat in ihrem Leben immer wieder Dinge getan, die wir Kinder nicht verstanden haben und die sie uns zeitlebens nicht erklärt hat. Wir wurden damit bis heute stets alleine gelassen, waren im wahrsten Sinne des Wortes von ihr verlassen.

4. meine Mutter empfindet in ihrem Kreisen-um-sich-selbst bis heute keinerlei Verantwortung für die Entwicklung ihrer Kindern und die desolate Familiensituation. Verantwortlich sind immer alle Anderen, insbesondere ihre drei Kinder.
 
Ich kann - und will - nicht mehr damit leben, im Umgang mit ihr für all das verantwortlich gemacht zu werden, was sie unglücklich macht und in ihrem Leben schief gelaufen ist. Sie ist eine zutiefst negative Person, die stets die Dinge von der schlechtesten Seite betrachtet. Alle bisherigen Kontaktpausen zu ihr waren durch von mir geäusserte Kritik an ihrem respektlosen Verhalten uns/mir gegenüber ausgelöst. Ihre Strafe für mich war jedes Mal eine eiserne Schweigehaltung und unerbittliche Verweigerung des Kontaktes ihrerseits. Meinem Mann hat sie kürzlich gesagt, dass sie wegen der für sie "vernichtenden Kritik" mit mir keinen Kontakt mehr haben könne (wolle).
 
Aber wesentlich wichtiger für mich: ich kann nicht damit fertig werden, wie sie uns im Stich gelassen und bis heute keinen Versuch unternommen hat, uns ihr Verhalten nur ansatzweise nachvollziehbar zu machen.
 
Für mich ist klar: wir waren und sind bis heute von unserer Mutter (und ihrem guten Geist) verlassen! Meine Mutter ist eine Person in meinem Leben. Eine, die mir nicht guttut. Aber auch eine, die ich niemals los werde, die ich daher so in mein Leben integrieren muss, dass es für mich erträglich, aushaltbar ist.
 
Ich habe immer um ihre bedingungslose Anerkennung und Wertschätzung gekämpft - stets vergeblich. Sicher nicht immer mit schlauen oder besonders geeigneten Mitteln und Wegen, aber immer mit guter Absicht. Dabei habe ich mich oft verbogen, verleugnet, verrannt, etc. Meine Mutter hat stets erwartet, dass man sich entschuldigt und sie einem in unermesslicher Großmut "verzeiht".
 
Der Prozess, mein Familientrauma aufzuarbeiten, ist inzwischen recht weit fortgeschritten. Nach dem letzten Kontaktabbruch und einer längeren Pause habe ich mehrfach deutlich zu verstehen gegeben, dass ich den (zumindest respektvollen) Kontakt mit ihr will, bevor wir die von Ihnen benannte Situation "Am Sterbebett" haben.
Ich habe u.a. das Angebot gemacht, in einer geführten Mediation darüber zu sprechen, wie wir einen ordentlichen "Arbeitston" zwischen uns herstellen können, damit wir uns nicht zwanghaft bis zum Lebensende aus dem Weg gehen müssen. Es geht mir dabei nicht (mehr) um Aufarbeitung unserer Familiengeschichte, nicht um "Eindringen, Aufdecken, Aufarbeiten" oder zwanghaften Familienfrieden.
Aber: alle meine Versuche sind mit Schweigen und Kontaktverweigerung ihrerseits beantwortet worden. Je länger das nun andauert, desto bewusster wird mir, dass ich für mich nur durch Loslassen etwas bewirken kann. Festhalten tut mir nicht gut und ist nicht sinnvoll! Eine Kommunikationsexpertin riet mir letztlich, ich solle den Kontakt einstellen. Schweigen sei ein so brutales Mittel der Kommunikation, gegen das man nicht "gewinnen" könne. Das ist schwer, aber nötig.
 
Ich habe mich zu einem - äußerlich - starken und selbstbewussten Menschen entwickelt. Ich kämpfe stets um Anerkennung, Wohlwollen, Achtung, Respekt für mich und meine Umwelt. Ich beschäftige mich mit mir und anderen, übe mich bei jeder Begegnung mit meinen Mitlebewesen, auch in Geduld, Verständnis, Selbstlosigkeit.
Ich arbeite seit Jahren in unserer örtlichen Hospizbewegung. Ich bin Sterbebegleiterin und gut darin, im Jetzt zu leben, das Unveränderbare hinzunehmen und gute Momente "zu sammeln". Ich liebe es, mit mir alleine zu sein, ich schätze aber auch die Gesellschaft, Freundschaft und Verständnis von anderen! Ich habe gelernt, was mir gut tut und auch mal NEIN zu sagen. Mir geht es objektiv gut. Ich habe alles, was mich befriedigt, vieles was mich bereichert und was ich mir für ein gutes Leben vorstelle und wünsche.
Nur deshalb kann ich auf die desolate Beziehung zu meiner Mutter schauen und diese meist gut akzeptieren.
 
Dass ich damit aber noch nicht ganz fertig bin, erkenne ich daran, dass ich oft über unsere Familie und die Beziehungen untereinander nachdenke. Ich habe Phasen von heftigen Schlafstörungen, die durch Bilder, Gedanken und Ängste bestimmt sind. Mich quält mehr als der nicht mehr vorhandene Kontakt zu meiner Mutter das Wissen, dass ich nicht mit  wohlwollenden und respektvollen Eltern aufgewachsen bin. Ich hadere damit, dass ich eine Mutter habe, die ihre Kinder wieder und wieder im Stich gelassen hat und lieber (aus unerfindlichen Beweggründen und unter mutmaßlich eigenem Leiden) die Beziehung zu ihrer Tochter einstellt, als sich einer (auch nur ansatzweisen) Selbstkritik zu stellen und Verantwortung für ihre Familie zu tragen.
Sie verweigert damit ihren Beitrag zu einer funktionierenden Familie. Das ist eine so bittere Erkenntnis, dass ich sie nicht einfach in Frieden "beiseite legen" kann. Ich sehe hin, nehme hin, aber verstehe einfach nicht. Hier muss ich einen Weg finden, damit umzugehen.
 
Nun habe ich auf ihren Seiten so viel "Material" zum Nachdenken gefunden, dass ich vor Erleichterung weine. Ich freue mich darüber, dass ich nicht die Einzige bin, der es mit dem Kontaktabbruch zur Mutter so geht wie mir. Sie sprechen so viele Dinge an und aus, die ich exakt so gefühlt und gedacht habe, dass es schon unheimlich (bewegend) ist.
Ich habe Freunde, Zuhörende und Ratgebende, die mir gut tun und viel bedeuten, bei denen aber das Vermögen bzw. das Verständnis beim Thema "traumatisierte Familie" aufhört. Gerne wird das relativ schnell mit den Worten: "...aber es ist doch deine Mutter..." deutlich gemacht. Da steht man dann am Ende doch wieder nur mit sich selber da...
 
Nochmals herzlichen Dank für Ihre Hilfe zur Selbsthilfe und für Sie das Beste!
Es soll stets bewusst sein: Es gibt vielleicht ein Leben nach dem Tod, aber ganz sicher gibt es eins davor!
 
Beste Grüße

 

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Leserbrief einer verlassen(d)en Tochter II

Veröffentlichung mit Einverständnis meiner Leserin in meinem Blog unter "Leserbrief einer verlassen(d)en Tochter II", 2. März 2020


Liebe Frau Riemann,


ich habe Sie in 2018 entdeckt, als Ihr Blog in einem Artikel in Brigitte Woman genannt wurde. Ich hatte ihn in der Badewanne gelesen. Ich blieb Stunden, um in Ruhe Ihre Seite zu erkunden. Tränen des Glücks liefen über mein Gesicht! Ich war nicht verrückt! Ich war nicht alleine!
Endlich waren da andere Menschen, die das auch erlebt hatten! Ihre Empfehlung „Will I ever be good enough?“ habe ich verschlungen. Ich hatte schon lange den Kontakt zu meiner narzisstischen Mutter auf ein Minimum reduziert (ich sagte ihr z.B erst im 8. Monat, dass ich schwanger war. Das ist 16 Jahre her. Ich habe mir therapeutische Hilfe geholt, weil ich den Teufelskreis durchbrechen wollte. Es hilft, dass sie in den USA lebt und ich den Umgang dadurch minimieren konnte.)


Ich war auf dem Weg. 


Dazu kam, dass ich 2008 als Fußgängerin von einer Straßenbahn angefahren wurde und wirklich alles in Frage stellte. Ich wollte mich vom Leben erlösen, da ich mich selbst als unwert empfand, jetzt wo ich mit chronischen Schmerzen (bis heute), Depressionen und Krankheit keine Hilfe für andere war und keine Daseinsberechtigung nach dem Wertesystem meiner Mutter hatte. Meine Mutter meinte, dass mir doch Duftkerzen oder eine Tageslichtlampe helfen könnten. Aber eigentlich hält sie mich für ein undankbares Balk. Es gibt soviel Geschichten und Verletzungen... 


Dann kam auch der Druck dazu. Warum ich nicht endlich Frieden geben konnte, es ist doch alles lange her. Projektionen von mir und alles Einbildung. Das übliche. Dieser Vergebensdruck hat mich fast das Leben gekostet. Als mein Opa (Vater meiner Mutter) starb, sagte sie mir noch beim Trauerempfang, dass sie jetzt ja gar keinen Grund mehr hätte, nach Dtl. zu kommen. Das hat mich bestärkt, mit ihrer Halbschwester, meiner Tante wieder mehr Kontakt zu haben. Sie ist in meinem Alter (jetzt 50 J). Wir haben uns viel erzählt und um einiges getrauert und erfreuen uns an unserer Beziehung.


2016 kam durch reinen Zufall eine Brustkrebserkrankung zu Tage. Aber was ist schon Brustkrebs gegen damals 8 Jahre Gesichtsschmerzen! Mit Schmerzen ist man immer die Idiotin, die sich dämlich anstellt, mit Brustkrebs gibt es Hilfe. Der erste Gedanke damals war: „Jetzt muss ich das nicht selber tun. Das macht der Krebs für mich“. (das Töten).


In der Chemo stand ich vor dem Ende meiner Existenz. Ich habe abends oft gedacht, dass ich den Morgen nicht erleben werde. Das brachte mir unerwartete Perspektiven. Heute gibt es immer wieder Situationen, in denen ich sage, diese Erkenntnis hat mir der Krebs geschenkt. 


Letztes Jahr nun erfuhr ich von meiner Schwester (13 Jahre jünger, gerade 2. Kind entbunden, lebt in der selben Stadt wie meine Mutter in den USA) dass meine Mutter krank ist. Meine Schwester schickte mir eine Art Abschiedsemail, die meine Mutter an ihr Publikum schickte (ich gehörte nicht dazu) in der sie schrieb, dass sie Hautkrebs Stadium 4 hat und innerlich verbrennt etc.
Das hat mich umgehauen. Ich riet meiner Schwester zwar zur Besonnenheit und dass man abwarten müsste, was die Ärzte sagen. Ich selbst taumelte aber tagelang durch ein Gefühlschaos, aus dem mir 2 weise Frauen (Psychiater und Internistin) raus halfen. 


Ich fühlte die Last, dass ich mich nicht dem familiären Druck gewachsen sehen würde und doch hingedackelt wäre, um mir die letzte Demütigung abzuholen. Zudem hatte ich die ganze Zeit ein Gefühl von Verarsche. Ich habe mich sehr geschämt, dass ich das meiner Mutter zutraute.
Es stellte sich dann ein paar Tage später heraus, dass der Hautkrebs prima zu entfernen war und sie nur „was falsch verstanden“ hatte. Das gab mir den Rest. Aber es hat mir auch aufgezeigt, worauf ich mich einstellen muss. In dieser Zeit habe ich Abschied genommen, getrauert und die letzte Hoffnung auf ein Verstehen, vielleicht auch entschuldigen (wie mein Vater es vor Jahren tat) begraben und beweint. 


Letztes Jahr bin ich mit meinem Sohn und Mann zu meiner Schwester in den Urlaub gefahren. Natürlich hat meine Mutter wieder keine meiner Grenzen respektiert. Aber ich konnte es wie eine weise Frau mit einem Lächeln wegwischen. Ich war meiner Schwester zu Liebe auch im Haus meiner Mutter. Da noch mehr Familie da war, hatte ich immer jmd. der sich als Schutzschild anbot. Hauptsache sie kann ein Bild auf Facebook posten. Sie braucht keine Familie, sie sucht Publikum. Ich sah, wie schlecht sie meine kleine Schwester behandelte und wie ihr die Hand bei ihrer Enkeltochter „ausrutschte“. Als ich wieder im Auto saß, war ich froh. Hier müsste ich nie mehr her. Sie ist eine arme Irre und will keine Hilfe. Das hat nichts mit mir zu tun. Wenn sie nicht meine Mutter wäre, würde ich sie nicht kennen oder wenn doch, meiden!

 

Ich bin weiter auf dem Weg mich kennen zu lernen. Gerade in schweren Zeiten, wenn Schmerzen und Stress mich überwältigen, falle ich in alte Muster zurück. Aber ich komme immer besser klar und habe meinen Anker im Leben. Ich habe Herzensmenschen um mich rum und bin auch gerne und viel alleine. Für meinen Mann ist diese Nachreifung nicht einfach, aber was soll’s! Für mich ist es lebenswichtig! Ich wachse immer mehr in mich rein, daher finde ich das Altern toll, auch wenn da noch mehr körperlicher Verfall auf mich zukommt. Ein glückliches Hirn, auch wenn der Körper gebrochen ist. Das gönne ich mir, so oft es geht.


Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen den Mut und die Kraft, weiter an Ihrem Weg zu arbeiten, auch wenn es bedeuten sollte, dass Sie Ihre Mutter am Sterbebett vielleicht nicht besuchen!
Danke für Ihre wunderbare Arbeit.
 

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Kontaktabbruch - Schweigen und Verschwinden

Blogbeitrag vom 7. Februar 2020 Kontaktabbruch - Schweigen und Verschwinden

Kürzlich fand ich ein Zitat von mir auf der Homepage der Autorin Kerstin Hau. Ihr Post dazu heißt Von Kindern und Eltern.

Sie schreibt auch zum Thema Funkstille und zeigt dort eingebettet ein Video zu einem Interview mit der Psychotherapeutin und Autorin Claudia Haarmann.

Das Buch von Frau Haarmann heißt Kontaktabbruch - Kinder und Eltern, die verstummen. Ich persönlich habe das Buch nicht gelesen und kann daher keine Empfehlung aussprechen.
Allerdings sagt Frau Haarmann im Interview etwas, das sich für mich überzeugend anhört. Sie meint, dass man von Kindern, denen Beziehung nicht mehr vorgelebt wird, keine Beziehung erwarten kann.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der sich schnell getrennt wird. Jeder hat ein Recht darauf Beziehungen zu beenden, die ihm nichts mehr bringen. Ein Kind, das in einer Familie aufgewachsen ist, in der Beziehung gelebt wird, mit allem was dazugehört, Liebe und Zärtlichkeit, sowie Auseinandersetzung und Versöhnung, wird den Kontakt zu seinen Eltern nicht abbrechen. Warum aber sollen Kinder Fähigkeiten haben, die ihre Eltern nicht haben? Ein Großteil der Kontaktabbrecher kommt aus Scheidungsfamilien. Von ihnen wird erwartet, was die Eltern nicht geschafft haben. Beziehungspflege.
Dazu passt der Spruch eines Freundes, der sagte "Kinder sind anpassungsfähig". Natürlich sind sie das. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig als Familie "auszuhalten" - egal wie diese strukturiert ist. Als Scheidungskinder, als Patchworkfamilykinder, als Kinder in Familien, in denen gehasst oder geschwiegen wird. Sie müssen überleben, das geht nur durch Anpassung. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie über sich selbst bestimmen können. Dann nehmen sie sich das gleiche Recht wie die Eltern - Schweigen, Gleichgültigkeit, Trostlosigkeit, Hass, Trennung.

Ein guter Artikel über die Reflexionen einer verlassenen Mutter erschien in der Onlineausgabe der Basler Zeitung unter dem Titel Dieses verfluchte Schweigen. Schweigen und Verschwinden - über Generationen hinweg ein gelebtes Muster. Das Verschwinden ihres ältesten Sohnes brachte die Mutter zur Therapie und zur Erkenntnis. Hut ab!

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Vergebung

Bei der Vergebung geht es darum, das Leiden zu beenden sowie Würde und Harmonie in unser Leben zu bringen. Vergebung ist wichtig um unserer selbst, unserer eigenen geistigen Gesundheit willen. Damit lassen wir den Schmerz los, den wir mit uns herumtragen. Sehr deutlich zeigt sich dies in der Geschichte von den zwei Kriegsgefangenen, die einander nach Jahren wieder begegnen. Der eine fragt: "Hast du deinen Häschern vergeben?", der andere antwortet: "Ganz bestimmt nicht. Das werde ich nie tun!" Daraufhin gibt der erste Mann zurück: "Dann halten sie dich also immer noch gefangen."

Jack Kornfield

 

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Dank

Ich möchte mich sehr herzlich für die Zuschriften meiner Leser bedanken.
Wer sich durch meine Worte verstanden fühlt, lässt auch mich verstanden wissen.

DANKE