agentur zuhören

Den Ring nach Mordor tragen

Viele Jahre fühlte ich mich, als ob ich immer wieder in ein Dämonenloch gezogen werde.

Als Kind fuhr ich einmal mit der Geisterbahn. Ich wollte nicht als Feigling gelten, hatte aber während der ganzen Fahrt die Augen geschlossen. Die Geräusche, die ich hörte und das Streifen meines Körpers durch undefinierbare Substanz, verfolgten mich noch lange danach.

Auch im Dämonenloch konnte oder wollte ich nichts sehen, aber wie in der Geisterbahn, ließ ich dort viel Kraft. Nachdem ich immer wieder mühsam herausgeklettert bin, fühlte ich mich erschöpft. Das Spiel wiederholte sich endlos. Über viele Jahre wurde ich von Albträumen geplagt. Die Träume unterschieden sich, aber das Gefühl, mit dem ich aus ihnen aufwachte, blieb gleich. Entsetzliche Ohnmacht, die mich oft bis in den Tag lähmte. Irgendwann war es an der Zeit eine Entscheidung zu treffen, mir die entsprechende Ausrüstung zu beschaffen und mit Seil, Haken und Stirnlampe hineinzuklettern. Und dem ins Auge zu sehen, was dort in der tiefsten Finsternis auf mich wartete.

Mein Sohn und ich schauten uns gerne die Trilogie "Herr der Ringe" an. Den Gefährten fühlte ich mich immer näher als den Zauberstabschülern. Ich bin viele und erkannte mich in einem jeden von ihnen. Im kraftlosen, gutgläubigen Frodo, dem treuen und bodenständigen Samweis, dem grantigen und sentimentalen Gimli, dem edlen und lichten Legolas, dem gierigen und misstrauischen Boromir, dem zerrissenen und mutigen Aragorn, den herumalbernden und sinnenfreudigen Peregrin und Merry und auch im weisen überlegten Gandalf. All das spürte ich in mir und der Film machte mir Mut in mein Reich der Schatten zu gehen, um das loszulassen, was mich band. Ich aktivierte meine inneren Gefährten, um das Abenteuer zu wagen. Um meinen Ring nach Mordor zu bringen. Und mich damit zu befreien.

 

***

 

Ich liebe nur dich oder sei der Held im Abenteuer deines Lebens

Blogbeitrag vom 24. Januar 2013  "Ich liebe nur dich oder sei der Held im Abenteuer deines Lebens"

Gestern hatte ich eine Diskussion mit einer Freundin über die "Wandlung der Beziehungen", denn zur Zeit sieht es oft so aus, als ob Beziehungen, wie sie bisher geführt wurden, keinen Bestand mehr haben. Was ist los in unserer Gesellschaft, dass Ehen zerbrechen und Beziehungen einen Haltbarkeitswert von maximal 2-5 Jahren haben? Jeder sehnt sich nach einem Partner, die wenigsten finden ihn. Prophezeiungen sagen, das liege daran, dass das alte "Ich liebe nur dich" ausgedient hat und sich unsere Liebe nicht mehr nur auf einen Menschen fixieren wird. Großes Fragezeichen. Wie soll diese "neue Liebe" aussehen? Wir können uns ja nur das vorstellen, was wir bereits kennen. Gehen wir zurück zum Gruppenkuscheln in Kommunen? Oder kommt da etwas, was wirklich neu ist, weil bisher unerfahren? Abenteuer Liebe? Meine Freundin ist an einen Verteiler von Prophezeiungen und Weissagungen über das Neue Zeitalter angeschlossen, man könnte auch sagen an "esoterisches Material". Und ich profitiere, da sie großzügig auch an mich weiterverteilt, was oft einen Disput über den Inhalt des Materials zur Folge hat.

In der Esoterikszene wird gerne von Lichtarbeitern gesprochen, was bei mir zu Irritation führte. Lichtarbeiter klingt, als ob diese Menschen für oder am Licht arbeiten. Welches Licht? Haben diese Menschen einen Dimmer in sich, mit dem sie ihre inneren Glühbirnen volle Watt aufdrehen können? Manchmal scheint das so. Es gibt Menschen oder Material, das so voller aufgefahrenem Licht ist, dass es geradezu blendet oder verblendet, da vor grellem Schein nicht wirklich etwas zu erkennen ist. Da ich ein Bildermensch bin, stellte ich mir unter "Lichtarbeitern" die lichtvollsten Wesen vor, die ich kenne. Das sind die Elben von Mittelerde. Die Trilogie "Herr der Ringe" spiegelt unsere inneren Landschaften. Der ewige Kampf von Gut gegen Böse, von Mordor und dem Rest von Mittelerde, tobt auch in uns. Und die Elben sind ein Anteil in uns, der das Strahlende und Edle personifiziert. Aber sogar das Edle kämpft gegen das Böse, gegen Mordor mit all seinen grässlichen Kreaturen. Dabei wird vergessen, dass die Dämonen von Mordor, die Orks, ehemalige Elben sind, die durch Folter an Leib und Seele verstümmelt wurden. "Ich liebe nur dich", das gilt dem Edlen und Guten in uns und das, was in unser Schwarzes Land, nach Mordor, verbannt wurde, wird bekämpft. Es könnte sich lohnen unsere inneren Dämonen einmal genauer zu betrachten. Wie wäre es, einen dieser grauenvollen Orks auf ein Bier einzuladen und ihn nach seiner Geschichte zu fragen? Wir werden feststellen, dass auch dieses Wesen, nennen wir es Hass, Neid oder Missachtung, gefoltert wurde. Ihm wurde Schmerz angetan. Wie wäre es den Kampf gegen das vermeintlich "Böse", was genau so zu unserem Reich gehört wie das "Gute", aufzugeben und es zu Friedensverhandlungen an einen Tisch zu bitten? Das "Gute" kann sich ja nur als "gut" definieren, wenn es sich vom "Bösen" als "gut" abheben kann. Gut und böse definieren sich aus dem Dasein des jeweils anderen, sie brauchen sich. Wenn wir also den Mut aufbringen, eine Reise in unser inneres Mordor zu unternehmen und die Dämonen in uns ihre Geschichte erzählen lassen, könnte es sein, dass wir erkennen, dass sie ehemalige edle Elben sind. Hass bildet sich oft aus abgelehnter Liebe. Einer der machtvollsten Dämonen, ähnlich dem Uruk-hai, ruht weder Tag noch Nacht. Vor diesem Dämon sind wir selten sicher, hat er einmal Gestalt angenommen, sind wir ständig auf der Flucht vor ihm. Er heißt Schuld. Schuldgefühle quälen uns und Schmerz verunstaltet "hehre" Gefühle zu "niederen" Gefühlen. Schauen wir uns die "niederen" Gefühle in uns an und fragen wir sie nach ihrem Ursprung, finden wir häufig eine sehr traurige Geschichte. Auch wenn wir Angst vor den Dämonen in uns haben, auch wenn wir uns oft von ihnen überfallen fühlen, finden wir selten eine Horrorgeschichte, wenn wir dahinterschauen. Meistens geht es um Verlust, um den Verlust des Schönen und Guten in uns, dem Verlust unserer Liebe, unseres Vertrauens, unserem Wert, unserer Unschuld. Auf den Punkt gebracht hat das für mich ein Plakat, das ich vor kurzem im Zeitmagazin unter dem Thema "Konkurrenz" fand. Dort war der Countrysänger Johnny Cash abgebildet. Er stand seinem doppelten Selbst jeweils mit einem Colt gegenüber und sagte

Manchmal bin ich zwei Leute
Johnny ist der Nette
Cash macht immer Ärger
sie kämpfen miteinander

Cash wird einen Grund haben, warum er immer Ärger macht. Wenn wir nun aufhören nur den netten Johnny in uns zu lieben und Cash zu bekämpfen, sondern Cash mal zu Wort kommen lassen und ihn genau so in den Arm nehmen wie Johnny, könnte das die Welt verändern. Die Welt in uns und auch die Welt da draußen. Geschichten enden oft mit dem Sieg. Auch wenn Sauron besiegt wurde, gibt es ein Heer an Orks. Was ist mit ihnen? Sie werden uns weiterhin aus dem Hinterhalt überfallen und um ihr Dasein kämpfen. Wenn wir sie nicht integrieren, suchen sie sich einen neuen Führer und der Kampf beginnt von vorne. Es gilt das Lichte und das Dunkle in uns wahrzunehmen und zu akzeptieren. Liebe fängt hinter dem Verliebt-Sein an. Verlieben tun wir uns in den netten Johnny, die Liebe fängt an, wenn Cash mal seinen Auftritt hatte. Sind wir imstande selbst unseren Cash zu lieben, brauchen wir niemanden mehr, der ihn stattdessen liebt. Cash muss sich dann nicht mehr verstecken und muss auch keine Angst mehr haben, dass er irgendwann auffliegt und Johnny alles vermasselt. Sie können Hand in Hand kommen und Johnny kann sich mal von seiner schlechtesten und Cash von seiner besten Seite zeigen. Sie treten dann auf als Johnny Cash. "Ich liebe nur dich" hat dann ausgedient und wird zu "Ich liebe was ist". Alles, was wir in unserem Inneren und für uns selbst schaffen, tragen wir in die äußere Welt. Schaffen wir es uns selbst als Einheit von niederen und höheren Anteilen zu akzeptieren, kommt uns das entgegen. Es erfordert mehr Mut der Held im Abenteuer unseres eigenen Lebens zu werden und uns dem zu stellen, was in uns ist, als in viereckigen Kästchen den virtuellen Helden zum Sieg zu steuern. Die wahren Abenteuer sind in dir, entdecke sie.


***

 

Liebe dich selbst! Und wie?

Blogbeitrag vom 29. Oktober 2013  "Liebe dich selbst! Und wie?"


Warum verletzten uns ausgerechnet die Menschen am tiefsten, mit denen wir uns am engsten verbunden fühlen?
Weil wir sie in unseren innersten Kreis vorlassen und sie dort unseren Wunden näher sind als alle anderen.

Wir reagieren unterschiedlich, wenn uns ein geliebter oder vertrauter Mensch "verletzt". Manchmal ziehen wir uns zurück und werden traurig, manchmal werden wir wütend und denken uns verteidigen zu müssen, manchmal resignieren wir und verlieren die Hoffnung. Kurz- oder längerfristig werfen wir den Unruhestifter in Gedanken oder im Leben aus unserem innersten Kreis. Er erhält Hausverbot, damit wir in Ruhe unsere Wunden lecken können, die immer und immer wieder aufgerissen werden. Irgendwann fragen wir uns, ob wir uns mit den richtigen Menschen umgeben, warum ausgerechnet wir immer an die geraten, die uns verletzen anstatt uns zu lieben.

Diese Verletzungen sind Liebe.

Diese Verletzungen sind Aktivierungen eines Musters, das läuft und läuft und die geliebten Menschen, die uns so sehr verletzen, geben uns die Möglichkeit uns dieser Muster bewusst zu werden. Der Fehler liegt selten in ihnen und ihrem Verhalten, die Störung liegt bei uns. Sie machen uns mit ihrem Verhalten lediglich darauf aufmerksam.
Einem anderen weh zu tun, damit er heilen kann, was wund ist, das ist Liebe. Seinen Unmut auf sich zu ziehen und ihn auszuhalten, weil er es nicht besser weiß, das ist Liebe. Sich daraus ergebenden Beschuldigungen und Vorwürfen auszusetzen ist Liebe. Aber meistens wissen wir es beide nicht.
Wir haben nicht gelernt die Liebe in Verletzungen zu sehen. Uns wurde gelehrt, dass Liebe ein Verhalten ist, das uns im Opferstatus verharren lässt. Wir haben nicht gelernt auf unsere eigene Stärke zu vertrauen. Wir brauchen jemanden, der kommt, uns aushält, uns trägt, uns versteht mit all unseren Macken, Ecken und Kanten, Wunden und Narben. Uns wird etwas als Liebe vorgemacht, was uns letztendlich schadet, was uns klein hält, was uns die Möglichkeit gibt immer jemand anders die Schuld an unserem eigenen Befinden zu geben, was uns auf einen anderen angewiesen sein lässt.
Unser Verständnis von Liebe ist arm. Wenn wir niemanden haben, der uns liebt, uns versteht, für uns sorgt, sind wir arm. Haben wir dann jemanden gefunden, der unseren Vorstellungen entspricht, tut er das bestimmt nicht auf Dauer, wir fragen uns wie sich dieser Mensch so sehr verändern konnte, er war doch mal so lieb und wir fühlen uns wieder beraubt und arm. Unsere Vorstellung von Liebe macht uns arm. Sie macht uns zu Bedürftigen.
Wann macht Liebe reich?
Nun könnte ich aufzählen, was in so vielen Büchern und Seminaren gelehrt wird oder euch die wichtigste aller Botschaften, die kursieren, weitergeben "LIEBE DICH SELBST!" und alles wird sich in Wohlgefallen auflösen. Tolle Wurst und wie mache ich das? Vielleicht gibt es Leute, die das mit einem Fingerschnippen beherrschen, ich gehöre bestimmt nicht dazu. All die guten Tipps funktionieren bei mir nicht. Ich muss meinen eigenen Weg gehen, auf den vorgetrampelten Pfaden fühle ich mich unwohl. Ich kann immer nur dem folgen, was in mir ist und ich habe schon lange genug gebraucht um wieder einen Zugang zu dem zu bekommen, was in mir ist.

Ich möchte euch meine Geschichte dazu erzählen:

Letzten Sommer stand ich mit bemehlten Händen in unserer Küche und wartete auf meinen Mann und seinen Freund, die einkaufen waren und mir Quark für die gewünschten Aprikosenknödel mitbringen sollten. Da stand ich und wartete und wartete und keiner kam. Ich wurde sauer. Aber vielleicht ist etwas dazwischen gekommen, der Tank war leer und sie mussten noch zur Tankstelle fahren oder es ist etwas passiert? Ich schwankte zwischen Sorge und Ärger. Unser Freund war auf Besuch, das Essen war eingetaktet, damit er pünktlich weiterfahren konnte und er wünschte sich meine selbstgemachten Knödel, für die ich nicht alle Zutaten hatte.
Ich wartete ....  und sie kamen, fröhlich, ausgelassen, spät. Die Sorge war weggeblasen, der Ärger wuchs. Sie waren in der Stadt, einen Kaffee trinken, ach ja, sie haben vergessen mir Bescheid zu sagen. Etwas in mir stieg von 150 auf 360 und alles, was ich noch geistesgegenwärtig tun konnte, war, mich selbst aus dem Verkehr zu ziehen, bevor ich eine 1a Szene hinlegte. Ich verließ die Küche mit dem halbfertigen Teig, gewaschenen entsteinten und mit Zuckerwürfel gefüllten Aprikosen, zwei entgeisterten Männern und zwei verständnislosen Kindern. Wusch mir die Hände, zog meine Jacke an und schwang mich aufs Rad. Nix wie weg ......

Luft anhalten und bis zehn zählen, mir sagen, das wäre nur ein Gefühl und ich bin nicht dieses Gefühl, eine Schweigepause einlegen, Mitgefühl für alle Beteiligten enwickeln. NEIN! Alle diese gutgemeinten Tipps lösen sich in Rauch auf, denn ich BIN Wut. Es ist wie es ist und alles, was ich bisher getan hatte, um mit dieser Emotion umzugehen, schien null und nichtig gewesen zu sein. Ich war so sehr Wut, dass ich die Männer am liebsten mit den Aprikosen beworfen, den Teig an die Fensterscheibe geklatscht und zusätzlich laut geschimpft und geflucht hätte. Das hätte eine gute Geschichte gegeben und für einen Moment hätte ich mich befreit gefühlt, aber geendet hätte es in der Scham.
Und so fuhr ich an einen Ort, wo ich meine Wunden lecken und mich all den Gefühlen, die sich zeigten, überlassen konnte. Ich schimpfte und ich fluchte bis die Tränen kamen, fühlte mich alleinegelassen, ausgeschlossen und verraten. Und wusste genau wo ich rauskomme.
In einem Erlebnis aus meiner Kindheit.
Ein geliebter Mensch gab mir ein Versprechen und hielt es nicht ein. Zwei Personen gehen und lassen mich zurück. Das Versprechen ist ganz schnell vergessen und sie haben Spaß ohne mich. Ich warte und warte auf die Einlösung des Versprechens. Ich fühle mich gefangen und ticke aus. Die Strafe dafür ist hart. Die Schuld bleibt bei mir.
Das Erlebnis hinterließ eine tiefe Wunde, die nicht heilen wollte. Bis letztes Jahr stand ich am Fenster und wartete auf das Einlösen des gegebenen Versprechens, auf das Ende des Verrats.

Das emotionale Erleben dieses Ereignisses wiederholte sich, immer und immer wieder, in unterschiedlichen Variationen, mit unterschiedlichen Protagonisten. Die Welt schien voll von Menschen, denen ich vertraute, damit sie mich verraten konnten. Und ich wartete und wartete ..... das Warten schien mir am schlimmsten, es hielt mich gefangen, unbeweglich. Es hat lange gedauert, bis mir klar wurde, dass ich nicht mehr in einer Institution gefangen bin, dass ich nicht mehr vier Jahre alt und ausgeliefert bin, dass mich keiner mehr bestrafen und einsperren kann. Dass ich mich entscheiden kann mit dem Warten aufzuhören. Dass ich nun gehen kann. Ich darf gehen und muss niemanden um Erlaubnis bitten. Ich kann mich selbst befreien, indem ich einfach gehe.

Letztes Jahr habe ich mich an die Wand gefahren und man könnte sagen, dass ich überreagiert habe. Ja, eindeutig, das habe ich. Ich habe überreagiert. Die Wunde, in der gestochert wurde, hat mich an die Decke gehen lassen. Es ist in Ordnung. Es ist meine Störung, die zum Vorschein kam. Was hat mein Mann schon getan? Er hat sich eine Auszeit gegönnt, Spaß gehabt und mich darüber vergessen. Dass ich solch ein Verhalten als Hochverrat empfinde, kann er nach 27 Jahren noch immer nicht nachvollziehen. Bin ich über meine Störung endgültig hinweg, weiß ich, dass ich nicht mehr warten muss und gehen kann. Das kann ich tun, bevor ich Gefahr laufe auszuticken. Ich kann dafür sorgen mich bereits viel früher aus dem Verkehr zu ziehen, ich muss nicht mehr warten, bis die Situation eskaliert.
Das lerne ich gerade. Es gibt Menschen, die nicht verstehen, warum ich so schnell die Bremse ziehe und gehe, aber es sind ja nicht sie, die mich verstehen müssen, sondern ich muss verstehen, wann der richtige Zeitpunkt für mich gekommen ist zu gehen. Es ist meine Wunde, sie wird immer da sein, aber ich kann dafür sorgen, dass keiner mehr unachtsam darin herumstochert. Ich weiß nun, wo sie liegt und ich schütze sie, so gut es geht.

Wie die Geschichte ausging?
Ich habe etwas getan, was mir sehr schwer fällt - Schwäche zugeben und um Hilfe bitten. Mein Mann holte mich aus meinem Versteck und brachte mich nach Hause. Es war keine Wut mehr da, kein Vorwurf, nur ein Kater. Ich erzählte ihm von meinen Gefühlen, die durch sein Verhalten ausgelöst wurden und dem Kind, das sich noch immer so entsetzlich verraten fühlt, wenn Absprachen missachtet werden und es sich gezwungen fühlt zu warten. Das konnte er verstehen. Um ihm das verständlich zu machen, musste ich erst lernen mich zu verstehen. Als Erwachsene hielt ich mein Verhalten selbst oft für kindisch und verurteilte mich für meine bitteren Gefühle, die so heftig kamen. Diese Gefühle sind Ausläufer, hinter denen eine Geschichte steckt. So lange das Zentrum der Geschichte nicht ausfindig gemacht ist, schlägt es immer wieder in Wellen aus.
Liebe dich selbst bedeutet für mich Verständnis für mich zu entwickeln. Wenn ich sehe wie komplex die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung in meinem eigenen Leben sind, kann ich auch anderen gegenüber milder sein.
Wie auch immer sie sich verhalten, ich kenne ihre Geschichte nicht, die dahinter steckt. Kindisches Verhalten im Erwachsenenalter deutet oft auf ein verletztes Kind hin. Der Schmerz des Kindes wird real und direkt erlebt. Wer könnte das verurteilen?

 

***

 

Du sollst dein Kind ehren

Blogbeitrag vom 11. Januar 2013  "Du sollst dein Kind ehren"

Der Beitrag, der in meinem Blog am häufigsten aufgerufen wird, ist der über "Verlassene Eltern".

Vor einigen Wochen war ich in einem Forum, in dem eine Teilnehmerin einen Thread mit der Überschrift "Ich wünschte ich hätte andere Eltern gehabt" eröffnete. Ein anderer Teilnehmer reagierte mit einem Schrei der Entrüstung. Was auch immer man an Problemen mit den Eltern hat, so etwas dürfe man auf gar keinen Fall äußern. Warum aber nicht äußern, wenn dieser Wunsch da ist? Meine Erfahrung ist die, dass viele meiner Generation mit den eigenen Eltern hadern und das Eingeständnis eines solchen Wunsches bietet die Möglichkeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Warum wünsche oder wünschte ich mir andere Eltern? An was hat es gefehlt und wo war es vielleicht zu viel? Diese Fragen führen oft zu den noch immer aktiven Sehnsüchten in uns, die nicht erfüllt wurden. Wir alle möchten geliebt und akzeptiert werden. In einer Leistungsgesellschaft wird das oft durch das Erbringen einer Leistung erreicht, die in der Gesellschaft gerade hoch im Kurs steht. Da wir keiner Gesellschaft angehören, die spirituellen Wachstum honoriert, ist es der Abschluss eines BWL- oder Jurastudiums, da dieser Aussicht auf Karriere und Geld verspricht und ein hohes Einkommen bringt Ansehen. Dem Kind und den Eltern. Was aber, wenn ich nun einen der heißbegehrten Plätze für ein duales Studium einer großen Firma ergattert habe, meine Eltern damit sehr stolz mache, mich selber aber tief unglücklich? Weil ich lieber Hebamme geworden wäre? Oder Mönch?
Was wir uns wirklich wünschen ist, dass wir nicht geliebt werden für das, was wir tun, sondern für das, was wir sind. Wir möchten geliebt werden ohne verglichen zu werden, ohne dass ein Maßstab an uns angelegt wird, den wir erreichen sollen, ohne den Rahmen ausfüllen zu müssen, der uns angelegt wurde.
Und wer anderes kann das tun als die eigenen Eltern?
Kein Erzieher, kein Lehrer, kein Chef liebt uns für das, was wir sind, sondern für das, was wir tun. Sind wir engagiert und doch zurückhaltend, leistungsbereit und beherrscht, gepflegt, aufmerksam und respektvoll, erbringen wir gute Noten und erzielen wir materielle Gewinne, dann passt das.
Eltern aber, wenigstens die, sollten uns dafür lieben, wer wir sind. Wenigsten sie sollten uns lieben ohne Bedingungen zu stellen. Wenigstens sie sollten uns nicht über unsere Leistungen definieren, sondern über das, was wir in unserem tiefsten Inneren sind. Auch wenn wir das selbst nicht so genau wissen. Sie könnten es wissen und spüren. Schließlich sind sie unsere Eltern.
Hinter diesem Wunsch liegt ein tiefes, ungestilltes, kindliches Bedürfnis "Sieh mich, liebe mich, nimm mich wie ich bin".

In meinem Beitrag über die Schwierigkeiten meiner Generation mit den eigenen Eltern schrieb ich bereits über die tiefe Loyalität, die uns förmlich zerreißt, wenn wir unsere Elternprobleme angehen. Schauen wir genau hin, sind wir voller Vorwurf, voller Enttäuschung und doch immer voller Sehnsucht nach dieser bedingungslosen Liebe. Ich las einmal, dass Vorwürfe verdorbene Wünsche sind. Verdorbenes stinkt und es vergiftet, wenn wir es in uns lassen. Unerfüllte Wünsche können uns ein Leben lang begleiten und aktivieren immer wieder das enttäuschte Kind in uns. Es gilt sich dieses Kindes anzunehmen in der Form, wie wir es uns immer von unseren Eltern wünschten. Diesem Kind in uns den Raum für seine Wut zu geben, wo es einmal herausschreien kann, dass es sich andere Eltern wünscht. Das Gift herausfließen lassen. Es gilt sich selbst gegenüber loyal zu sein. Wir wurden mit der Regel erzogen "Du sollst Vater und Mutter ehren", für mich fehlt die Regel "Du sollst dein Kind ehren", denn Kinder, die die Erfahrung gemacht haben, was es heißt einem anderen seine Würde zu lassen, die aufmerksam und respektvoll behandelt wurden, die geachtet und geehrt wurden, haben gelernt das auch zu tun. Kinder hören nicht auf das, was man ihnen sagt, sie machen nach, was ihnen vorgemacht wird. Sie sind keine Theoretiker, sie sind Praktiker. Nicht das Wort, sondern die Tat zählt. Erziehung aus Worten ist reine Konditionierung, die anerlernt wurde, aber nicht erfahren. Sie ist reines Befolgen, oft aus Androhung vor Strafe. Dazu gehört auch Liebesentzug in Form von Schweigen, wenn das Kind nicht tut, was es tun soll. Misshandlung in Form von Strafe muss nicht immer körperlich sein, auch emotionaler Missbrauch hinterlässt Verletzungen. Körperlicher Strafvollzug ist direkt, emotionaler Strafvollzug subtil. Beides hinterlässt Wunden.

Um diese fehlende Erfahrung nachzuholen, müssen wir unserem inneren Kind genau das geben, was es vermisste. Nicht unsere Eltern sind dafür zuständig, sondern wir selbst. Und das heißt uns zu lieben ohne Bedingung. Wenn dieses Kind in seiner Enttäuschung toben will, lass es toben. Beschränke es nicht wieder in Art deiner Eltern, mit erhobenem Zeigefinger und den Worten "Das darfst du nicht, das schickt sich nicht, das ist sehr böse und es macht mich traurig", denn damit schickst du es wieder in die Einsamkeit. Sag ihm "Du darfst und du darfst alles und ich bin da und pass auf dich auf". Lass es toben, danach kehrt Ruhe ein. Der entladenen Wut folgen oft Tränen. Das ist ein gutes Zeichen.
Wer solch eine Bemerkung "Ich wünschte ich hätte andere Eltern gehabt" als Blasphemie an den Eltern hält, der übt Blasphemie an sich selbst aus. Der hat sich selbst noch nicht herausgeholt aus seiner Sehnsucht und seinen Wünschen und wird eine Beziehung eingehen, in der er vom Partner das erwartet, was die Eltern nicht geben konnten. In einer Weiterentwicklung vom frustrierten Kind zum frustrierten Erwachsenen soll der Partner dann den Revoluzzer lieben, der sich gegen alles stellt, den Frustrierten, der sich am Wochenende volllaufen lässt und frühmorgens betrunken nach Hause kommt, den einsamen Wolf, der seiner Sexsucht nachgehen muss, den Minderwertigen, der innerhalb kürzester Zeit aus jedem Job aussteigt, weil alle anderen böse sind, die Unausgeglichene, die alles persönlich nimmt und rumzickt, die Gelangweilte, die stundenlang rumzappt und sich jede noch so miese Soap und gefakte Talkshow ansieht um ihren Selbstwert zu heben, den ewig Sehnsüchtigen, der keine Beziehung halten kann, weil er dem Verliebheitskick hinterherrennt, die Verantwortungslose, die gewissenlos abtreibt, damit nichts ihrem Fun im Weg steht, den Bestätigungssüchtigen, der am härtesten von allen arbeitet und in jedem Büro das Licht ausmacht.

Diese Anteile sind in vielen von uns, egal ob Mann oder Frau und so lange sie in dieser Form in uns sind, sind wir nicht raus aus unserer Pubertät. Wer erwachsen werden will, muss das Kind in sich ehren. Ohne Bedingungen. Es gilt uns selbst zu überzeugen mit dem, was wir tun. Und das erreichen wir nicht, indem wir in Selbstmitleid und Vorwürfen verharren, sondern indem wir Verantwortung für unser eigenes Leben übernehmen. Indem wir uns Selbstbefriedigung angedeihen lassen, was nichts anderes heißt, als uns selbst zu befrieden. Kein anderer kann das tun außer jeder von uns für sich selbst. Denn wir sind die Gesellschaft, jeder einzelne von uns. Ich und auch du. Jetzt.

 

***

 

Ich habe einen Traum

Blogbeitrag vom 14. Oktober 2013 "Ich habe einen Traum"


Im Zeit-Magazin gibt es seit vielen Jahren die Seite "Ich habe einen Traum".

Prominente beschreiben dort ihre Träume, ihre Lebensträume, ihre Wünsche, ihre Visionen. Regisseure, Models, Jazzer, Rockmusiker, Schauspieler, Tennisspieler, Tänzer, Autoren, Menschen, die irgendeinen Erfolg in ihrem Leben aufweisen können, dürfen dort ihren Traum vorstellen. Den kleinen privaten und den großen übergeordneten.
Ich mag diese Kolumne sehr und manchmal träume ich davon, so eine Seite für alle zu eröffnen. Eine Seite, die Träume von Menschen vorstellt. Von Menschen, die nichts anderes vorweisen brauchen als einen Traum.

Ich möchte euch meinen Traum vorstellen.

Ich träume davon, dass die Menschen erkennen, dass sie selbst für ihr Glück verantwortlich sind. In meinem Leben traf ich immer wieder Leute, die davon ausgingen, dass es meine Aufgabe ist, sie glücklich zu machen. Und ich glaubte das auch. Wenn sie unglücklich waren, fühlte ich mich schuldig und wenn ich unglücklich war, gab es einen Schuldigen. Irgendjemand hat immer irgendetwas gemacht, was mich schlecht fühlen ließ. Die anderen waren dafür verantwortlich, ob es mir gut oder schlecht ging. Damit habe ich mein Leben, mein Glück und meine Freiheit aus der Hand gegeben. Es hat lange gedauert, bis ich erkannte, dass in dem Spruch "Jeder ist seines Glückes Schmied" viel Wahrheit steckt. Ich selbst bin für mein Glück verantwortlich. Wie ich das mache? Genau so, wie ich es von den anderen erwarte. Was macht mich glücklich? Ein gutes Gespräch, Aufmerksamkeit, Zuneigung, Freundlichkeit, Offenheit, Fröhlichkeit, Optimismus, ein bisschen verrückt sein, Mut, Lebendigkeit, Zärtlichkeit, eine Umarmung. All das darf ich mir selbst geben. Und wenn ich dieser Mensch geworden bin, indem ich mich selbst glücklich mache, weil ich mir genau das gebe, was ich mir wünsche, bin ich wirklich in der Lage auch andere glücklich zu machen. Einfach so, ohne groß was zu tun, einfach deswegen, weil ich es bin.
Ich träume davon, dass wir es schaffen uns selbst glücklich zu machen. Dass wir die Karten, die uns gegeben werden, in die Hand nehmen und das Beste daraus machen. Und dass wir Freude daran haben.

Jeder Spieler muss die Karten akzeptieren,
die das Leben ihm oder ihr gibt.
Aber sobald die betreffende Person sie in den Händen hält,
muss allein sie entscheiden, wie sie die Karten ausspielt,
um das Spiel zu gewinnen.

Palu Rinpoche

***

 

Alle Fotos und Texte dieser Seite und meines Blogs wurden aus meinem Blickwinkel festgehalten und verfasst. Eine Verwendung von Texten bitte nur mit Angabe der Quelle.

 

Nach oben